295 Schlaf. Dann vor allem, wenn die Not um einen schier unerträglich gestiegen war, daß man meinte, nicht mehr aus noch ein zu wissen. Doch jetzt — heute nacht? Es blieb eine merkwürdige Sache. Hubert Trunk fuhr sich zweifelnd in die Haare. Mal schauen, wie denn eigentlich die Lage aussah. Hier schlief die Frau, dort der Pankrazius. Und um Hubert Trunk herum war die Kammer, hell, luftig und hoch. Die Kammer aber gehörte zu den drei Zimmern des Bahnwärterhauses Block Viertannen. Gut — das ging in Ordnung. — Wie das ging in Ordnung? Das ließ sich so daher denken? Da war alles vergessen schon, was dazwischen lag seit dem Bunker von 1918 bis heute? Das Warten auf Arbeit und auf die Frau, die man liebte, das ohnmächtige Zusehen¬ müssen all die Jahre über? Halt — da stimmte etwas nicht. Er hatte das nicht vergessen. Der Hubert Trunk gehörte ja zu jenen Menschen, die solchem Geschehen ein langes Gedächtnis bewahrten. Weshalb auch sein Sohn Pankrazius hieß. Weshalb er es tagelang nicht wahrhaben wollte, als nach dem Innendienst endlich die Versetzung herausge¬ kommen war, hierher nach Block Viertannen. Hatten ihn am Ende dieWahrheit und das Glück geweckt? Oh — auch das Glück konnte ein Einschlag sein. Freilich warum sollte es nur beim Unglück einschlagen? Hubert Trunk bekam runde Augen. Er zog die Luft ein, daß es einen leisen, hellen Ton gab: das Glück hatte acht, daß man es nicht auf die leichte Schulter nahm. Das war es, nichts weiter. Hubert Trunk nickte. Er machte den Mund auf und wieder zu, als ob er etwas zwischen den Zähnen zu kauen habe. Es war die Luft des frühen Morgens, die von den hohen Tannen durch das offene Fenster im blauen Schein des ersten Lichtes hereinströmte. Durfte man da schlafen? War nicht Holz zu stapeln, ein Gatter zu schlagen für die Hühner, Blumen anzubinden, die schon üppig wucherten, das Salatbeet zu schützen vor der Sonne, Gardinenfetzen Wie an die Kirschen zu binden, am Holzpferd zu basteln für den Pankrazius? konnte man schlafen in solch einem Bunker, der Block Viertannen hieß? Hubert Trunk tappte nach Jacke und Hose, leise, es sollte keiner aufgeweckt in werden. Hubert Trunk torkelte ein wenig, er trug schwer an dem, was nicht die Worten zu sagen war. Er stand vor dem kleinen Bahnwärterhaus und reckte Sie Arme, daß es knackte. Die Lage war außerordentlich, innerlich und äußerlich. Es war versöhnend mit allem Widerwärtigen, was es je gegeben haben mochte. roch nach süßem Heu, ehe noch die Mahd geschlagen war. Es brausten tagsüberdie die Züge, es stand ein Mann auf seinem Posten, kerzengerade wie vor dem Glied Fahne zusammengerollt im Arm, die Hand am Horn, die Gedanken beim Signal¬ werk, das Herz von Blumen überrankt. Es war eine Lust zu leben. An diesem Morgen überkam es den alten Soldaten Hubert Trunk, daß er nicht wußte, was in ihn gefahren sein könnte. Er sah die Stange mit dem dünnen Draht, daran der Rundfunk geschlossen war in der Küche auf dem Schrank. Er wußte plötzlich nichts anderes zu denken als dies: Block Viertannen ist angeschlossen an das große Deutschland! In den Wipfeln der hohen Tannen rauschte es wie von einem Fahnentuch. Der Flügelschlag eines großen Vogels zerriß die Stille. Ein Reh verhielt auf der Wiese jenseits des Bahndammes. Es sah einen Menschen vor dem Bahnwärterhaus e5 in den Himmel schauen, sein Herz und sich selbst dem Morgen hingegeben neigte darob sein Haupt in Frieden und begann zu äsen. Hubert Trunk aber vergaß die kleinen Dinge um Haus und Garten, die er vor seinem Dienstantritt noch hatte in Ordnung bringen wollen. Es wunderte ihn nicht sonderlich, daß er sich auf dem Wege zum Schuppen ertappte, einen Topf mit weißer Farbe herunterlangte und nun dreihundert Meter weit auf dem Damm nach Süden ging, dorthin, wo der gewaltige Findling zwischen Weg und Feldrain lag, blank gewaschen von Wind und Wetter der Jahre, ein Blickfang für alles, was vom Norden und Süden kommend an ihm vorüberbrauste. Wenige Stunden später läutete das Signalwerk, der erste fahrplanmäßige Zug mußte gleich Block Viertannen passieren. Hubert Trunk stand breit vor seiner
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