Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1939

293 Der Teufel, so weiß eine andere Sage zu berichten, sei nächtlicherweile, auf feurigem Rappen reitend, zum Haus „im Brand“ gekommen, er habe aber an der Kapelle nicht vorbei können; er hat, wie erzählt wird, zum Haus nicht „zuwimögen“, weil ein Roß bei der Kapelle wie festgebannt stehen blieb, und mußte deshalb wieder zurückreiten. Diese Sagen sind selbstverständlich viel ursprünglicher als die Kapelle und weisen in eine sehr alte Zeit zurück. Nun hinauf zur Anhöhe des Lirker=Kogels, dem Ziel unserer Wanderung. Ein kleiner Weg führt in fünf Minuten zu dem mit Feldern bedeckten ebenen Gipfel. Oben weiden Schafe, die uns mit fragenden Augen neugierig ansehen. Am west¬ lichen Rande des Kogels steht im Schutze eines breitästigen Birnbaumes ein rot angestrichenes Kreuz, an dem drei Bilder hängen; es steht mitten in einem von niedrigem Holzgitter umschlossenen, liebevoll betreuten Blumengärtlein. Eine Bank davor ladet zur Rast ein. Von hier aus genießt der Wanderer einen herrlichen Rundblick. Frei steht der Kogel, um ihn herum ziehen sich gleich einem riesigen Wallgraben Täler und Gräben, die von den wald= und mattenbedeckten höheren Bergen gebildet werden, die den Kogel in weitem Halbkreis umschließen. Das Auge entdeckt viele Einschichthäuser auf den grünen Hängen der Berge, sieht Dörfer, Märkte und Städte. Steyr scheint nicht mehr die Kesselstadt zu sein, so ver¬ flacht sich, von hier aus gesehen, die Hügelgegend im Norden. In der Nähe des Kreuzes ist ein kleiner Weiher, der selbst in Zeiten großer Dürre nicht versiegt, denn es ist ein aufquellendes Wasser. Etwas unterhalb des Lirker=Kreuzes bildet der Berg infolge eines Vorsprunges ein ebenes, ungefähr ein Joch großes Wiesenböndel. Dieses Böndel hat einen merkwürdigen Flurnamen. Es heißt der „Römisch Hof“. Vor mehreren hundert Jahren, so berichtet eine alte Ueberlieferung, sei hier ein Bauernhof gestanden, der diesen Namen führte; er ist abgebrannt und nicht wieder aufgebaut worden. Die Sage erzählt, daß hier Römer begraben sind. Vielleicht stand hier einst ein römischer Wacht= und Aussichtsturm, von dem aus sehr leicht die Vorgänge im Ennstal beobachtet werden konnten. Dieser „Römisch Hof“ kann aber auch eine andere Bedeutung gehabt haben. Vor Jahren grub man nach, um einen Schatz zu heben, der der Sage nach hier ver¬ graben liegen soll. Man fand zwar keinen Schatz, aber alte Topfscherben, die man leider weggeworfen hat. Wir haben im Stöderberg und seiner höchsten Erhebung, dem Lirker=Kogel einen ehemals den Göttern geweihten Berg vor uns; dafür sprechen die außer¬ ordentlich geeignete Anlage des Berges und uralte Sagen, die den Berg umspinnen. Eine-für diese Annahme besonders bezeichnende Sage meldet, daß auf dem Lirker¬ Kogel einst eine Kirche erbaut werden sollte. Man schaffte Baumaterial hinauf. In der Frühe, wenn die Handwerker zur Baustelle kamen, um die Arbeit zu be¬ ginnen, waren Baumaterial und Werkzeug weg und fanden sich immer auf der Stelle, wo heute die Kirche des Dorfes St. Ulrich steht. Man faßte das als Zeichen des Himmels auf und erbaute sie auf dem Berge nahe bei Steyr. Auf dem Lirker¬ Kogel aber, wo man die Kirche erbauen wollte, errichtete man ein Kreuz. Und heute noch steht an dieser Stelle ein Kreuz. Es ist das sogenannte „Lirker=Kreuz". Warum wollte man auf dem einsamen Berg, weitab von den Siedlungen der Menschen, eine Kirche bauen? Doch nur aus dem Grunde, weil man eine hier bestandene alt¬ germanische Opferstätte verchristlichen wollte, wie das mit vielen dieser alten, auf Bergen befindlichen Kultstätten geschah. Sinnend steht der Wanderer am roten Kreuz auf dem Lirker=Kogel und denkt der fernen Zeiten, in denen unsere Vorfahren in Vollmondnächten zu ihren heiligen Hainen auf die Bergesgipfel zogen, um in freier Natur ihren Göttern zu opfern oder Rat zu halten; denn dieses Kreuz auf dem sonnenbeschienenen, lichten Kogel mit seiner auffallenden Kirchengründungssage läßt hier in der Ostmark eine der schönsten Kultstätten aus altgermanischer Zeit vermuten.

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