Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1939

291 Einen Blick noch werfen wir von der Neutorbrücke auf die grünen Matten des Stöderberges, auf denen wir zwei Bauernhäuser liegen sehen, das Ober¬ Stöderberger= und das Leinerbergerhaus mit dem großen schönen Lindenbaum, und wandern dann auf der buckligen Eisenstraße der rauschenden Enns entlang bis zum Wirt in Sand. Hier verlassen wir die Straße und gehen durch den Gastgarten. Der Weg führt uns über eine grüne Leite empor zum Häusel im Kollerfeld, wo wir auf eine kleine Hochfläche gelangen, auf welcher rechts die zwei Bauernhäuser Gasthager und Hueb liegen und links der anfangs bewaldete Hang des Stürzberges emporsteigt. Einige Minuten später hören wir bei der Hueb=Kapelle schon das Rauschen des Stöderbaches, der durch den bewaldeten Stödergraben talwärts eilt, der nahen Enns zu. Beim Bauernhaus Seitz, das wir bald erreichen, überschreiten wir auf einer Holzbrücke Bach und Graben. Hier nimmt uns der Bergwald, ge¬ nannt das „Stöderholz“ auf. Das Sträßlein führt steil aufwärts und ist sehr steinig; die Ochsen sind zu bemitleiden, die auf diesem elenden Weg den Wagen, noch dazu beladen, bergwärts ziehen müssen. Auf kurze Zeit verlassen wir den Wald, bis wir am Bauernhaus Unter=Stöderberg vorüber sind. Bei diesem Hause teilt sich der Weg und wir haben die Wahl, auf dem alten aufgelassenen oder auf dem vor einigen Jahren hergestellten, etwas weiter unten führenden neuen Strä߬ lein durch den Wald bergwärts zu wandern. Für den Bergwanderer interessanter ist das alte, steilere Sträßlein, das am großen hölzernen „Loahner=Kreuz“ vorüber¬ führt. Auch wir wählen dieses, das zum Teil aus einem alten Prügelweg mit quer¬ gelegten Holzprügeln besteht. Einen solchen Weg nennen die Leute auch „Riedl¬ bruck“, denn der Prügel wird auch „Riedl“ genannt. Solche Prügelwege hat es in der germanischen Vorzeit schon gegeben. Vom Waldgraben herauf hören wir das ferne Rauschen des Stöderbaches, der beim alten Bauernhause Ramsner hoch droben auf dem Hange des Stürzberges entspringt. Irgendwo in den Bäumen des Waldes hört man das Girren der Wildtaube und von draußen herein in den stillen Bergwald tönen melodisch die Glocken der weidenden Kühe. So steigen wir langsam bergan. Fast haben wir das Ende des Stöderholzes erreicht und mit ihm auch den Berg erklommen, da sehen wir ein Bild an einem Waldbaume hängen. Es sagt uns, daß hier einmal ein Unglück geschehen ist. Eine Bäuerin fiel beim Pflücken von Wildkirschen vom Baume und blieb tot liegen. Früher stand ein Kreuzmarterl hier, das in naiver Weise diese Begebenheit im Bilde festhielt. Das teure steinerne Bildstöckel, das sich nur die wohlhabenderen Bauern des Hügellandes und der Donauebene leisten konnten, ist in den Voralpen sehr selten; um so häufiger treffen wir hier Holzkreuze und Marterl an oder Bilder, die an Wald= und Obstbäumen angebracht sind. Jedes dieser Bilder und Kreuze, sofern sie keine Feld= und Wetterkreuze sind, die errichtet wurden, um Felder und Häuser in den Schutz Gottes zu stellen, sagt uns, daß sich an ihrer Stelle irgend einmal etwas Außergewöhnliches abgespielt hat, sei es eine menschliche Tragödie — oder ein Teufelsspuk. Ein Bild, das vor einigen Jahren noch an einem Wald¬ baume neben unserem Sträßlein hing, ist verlorengegangen; aber die Sage, die sich daran knüpfte, lebt noch. Sie erzählt: „Einst lebte in Steyr ein Fleischhacker, der jeder Kleinigkeit wegen fürchterlich trieb schalt und Gott lästerte. An einem Samstag abends — es dunkelte bereits — er ein Kalb, das er von einem Bergbauern gekauft, heimzu gegen Steyr. Als er zum Hohlweg im Stöderholz kam, wo es bergab geht, blieb das Kalb stehen und war nicht mehr von der Stelle zu bringen. Da hub der Fleischhacker so gottsläster¬ lich zu fluchen an, daß selbst die Bäume erschauerten und es stille ward ringsum. Plötzlich verlor der wüste Viehtreiber die Sprache und konnte mit seinem Kalb 2 weder „hinfür“ noch „z'ruck“. Beide standen auf dem Sträßlein wie zu Stein er¬ tarrt. Die ganze Nacht mußten sie, Fleischhacker und Kalb, festgebannt so stehen bleiben. Als am Sonntag früh Leute, die zur Kirche nach St. Ulrich gingen, zu der Stelle kamen, standen beide noch immer reglos da. „Na“, sagten sie, „so treib's weg in Gott'snam'!“ Da gingen das Kalb und der Fleischhacker ruhig weiter; der Kalbtreiber hatte die Sprache wieder und dankte den Leuten. Zum Gedenken an diese geheimnisvolle Begebenheit und zur Abwehr des Teufels, der, wie es heißt,

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