288 Gang über die Almen Von Albert Bachner. Der Aufstieg aus dem mächtigen und langen Bergtal hat seine Steilheit in der Almregion verloren. Der schwarzgrüne Saum des Hochwaldes lichtet sich und läßt seine feierlich=ernste Stimmung ausklingen in den frühlingshellen Tönen des schütteren Lärchengrundes. Pfingstglockenklänge, die unten im Bergdorf aus der Baumblüte nach den Höhen zogen, wallten auf Augenblicke um uns und suchten im nahen Felsgewände — Unendlich weite ihren eingeschlummerten Bruder, den Widerhall, aufzuwecken. breiten vor Alpenrosenhängen und Legföhrengürteln ihre steinbesäten Böden Matten sonnendurstig hin. Schneerosen, Soldanellen, Enziane und Krokus in verschwenderischer Fülle reigen um Dolinen und Mulden, in denen wieder die Schneetälchenflora in wunder¬ Gemeinschaften Auferstehung feiert. barenAuf der nächsthöheren Steilstufe über dem ersten Almengrund liegen noch un¬ weiße, phantastisch geformte Flecken: König Winter hat auf der Flucht zählige ilbernen Vliese zurückgelassen und Föhn und Sonne zerfransen sie solange, eine sie einschrumpfen und nach kurzer Zeit verflüchtigt sein werden. bis Noch sind die Almhütten menschenleer. Die Sennerinnen im Tale müssen sich noch gedulden und zuwarten, bis die vom Schneedruck gepreßten Halden und Matten begrünt haben. So kann die Junimitte kommen, bis der Auftrieb möglich ist. sich Nur die Schafherden trollen sich schon durch die schneegesprenkelten oberen Alm¬ gründe und buckeln lautschellend über die noch kahlen Steinrücken. Wir setzen unsern Aufstieg noch eine kurze Weile fort und lassen in etwa 1600 Meter Höhe die dort gelegene Alm zurück. Um einen mächtigen Wall hinüber endet der Weidegrund. Felsige Abstürze und wilde Kare lösen die Idylle ab. Die Wände entlang ziehen sich stundenlange Jagdsteige übereinander hin und führen durch Schnee= und Steinlawinengräben in einen Steinkessel, über den sich ein Kreis hochgetürmter Felszinnen schließt. Das Steiglein beginnt anfangs recht unansehn¬ denn es ist ein verbotener Pfad! Große — lich und schmal, um nicht aufzufallen Jagdherren ließen ihn bauen, um zu einem Hochwildparadies zu gelangen. So setzen wir leise Tritt um Tritt, um die nahen Gemsen nicht zu verscheuchen. Allmählich verbreitert sich der Steig und wird stellenweise recht bequem und sicher. Aber plötzlich ist es, als ob das Gold der Frühsonne immer greller zwischen die Schroffen fiele. Und als wir aufschauen, zeigen uns die Wände ihren Schmuck: die Dolden der Aurikeln wiegen sich in solchen Mengen im Morgenwind, daß wir das Wunder anfangs ungläubig anstarren. Und das Erstaunen und Entzücken begleiten uns ge¬ treulich bis an das heutige Ziel. An dunklen Stellen brennt noch die Erika über uns in lebensstarker Frische. Dann kommen Geröllhalden, besät mit großen Glocken der schier unwirklich blauen Enziane. Um eine Felsflanke hinüber und alle kleinen Türme und Grate glühen über und über im Schmuck der Primula Clusiana. In den Steinrinnen wiegen und neigen sich die Sterne der großen Anemonen in reicher Fülle. Am Steinpfad liegt eine tiefschwarze Natter halberstarrt. Ich versuche, sie vom Steig abzudrängen. Vorerst bleibt sie unbeweglich. Erst nach längerem Versuch, sie zu verscheuchen, erhebt sie den feinen Kopf und züngelt und zischt. Aber erst als ich sie mit dem langen Bergstock von unserem Weg weise, gibt sie ihr hartnäckig behauptetes Lager preis. Je weiter wir durch diesen heimlichen Grund zogen, desto glaubhafter schien mir das Gleichnis: Hier könnte Parsifals Pfad und Blumenauen um uns sein. Und über dem Zaubergarten gluten im Morgenbrande die Mauern der Riesen¬ burgen. Eine Hangrippe um die andere lassen wir zurück. Mit einem Male weitet sich vor uns ein gewaltiger Felsenkessel. Ueber dessen Schlund, am Steilhang in einer
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