Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1938

369 Müde atmet die Waberl. Ganz schwach nur. Ganz langsam. Jetzt dreht sie ein wenigden Kopf herüber. Gre ... Gret —... Greterl! —“ haucht sie. „Mein Greterl! — mein liebes Roserl zittert über und über. Sogar im Tode denkt die Mutter an die andere. Andie hochahrige, stolze Roserl chaut lange in das bleiche Gesicht der Sterbenden. Und immer fremder wirdihr diese Frau. Immer fremder Roserl drückt ihr Gesicht in das Taschentüchlein. Da schlägt die Wabi ihre Augen auf. Mit aller Mühe sucht sie die Hände des Mädchens. Kalt und knöcherig liegen ihre Finger auf den vollen Mädchenhänden. Roserl horcht auf die matte Stimme der Sterbenden. „ „Um des lieben Herrgott willen — verzeih! — Roserl — verzeih! Dabei hält das Weib einen Brief in den Händen. Zitternd will sie ihn dem Mädchen reichen. Er fällt dem Mädchen zu Füßen. Unterdessen schwinden der Sterbenden abermals die Sinne. Und Roserl liest das Schreiben. Immer aufmerk¬ samer liest sie. Immer bleicher wird das Gesicht des Mädchens. Immer größer tun sich ihre Augen auf. Dann sinkt Roserl zurück, nur großer, unheimlicher Schreck ist darin. Schlaff liegen ihre Hände im Schoß. Da steht es geschrieben — das geahnte Geheimnis. Knecht ist er gewesen bei den Pfaffenhoferischen, der Waberl ihr Mann. Sie ist Dirne gewesen. Geheiratet haben sie rein nur auf ihre Liebe hin und auf ein paar Gulden. Und dann sind zwei Mädchen angekommen auf dem Hofe: die Roserl und die Greterl — die eine bei der Bäuerin, die andere bei der Waberl. Wie aus den Eiern geschält, so lieb und herzig waren sie. Zum Verwechseln gleich Freilich, zuerst hat der Bader gesagt: Das Bauerndirndl wird es nit lang mit¬ machen, ist recht schwach. Aber schwach ist auch das Dirndl der Waberl gewesen. Und dann ist einmal der Knecht heimgekommen und hat gesagt: Wabi, das Bauerndirndl wird sterben und unser Dirndl muß sterben — die erste ist schwach, die unsere wird schwach, weil wir nicht viel zum Atzen (Ernähren) haben. Gleich sind sie einander wie ein Ei dem andern. Wir täten unserm Dirndl was Gutes und dem Bauerndirndl nichts Schlechtes, wenn wir sie austauschen täten. Und so haben wir es auch getan. Ist uns erst recht ans Herz gegangen, aber die Bauers¬ leute haben nichts gemerkt. So sind denn die zwei Dirnderln miteinander und nebeneinander aufgewachsen. Der Knecht ist schnell gestorben, in Todesängsten hat er den Brief noch geschrieben. Abbitten tut er den Bauersleuten das arge Ver¬ gehen. Die Wabi sollte das Schreiben hergeben nach seinem Tode. Noch immer schaut Roserl der Totkranken ins Gesicht. Den Mut zum Gestehen hat die Wabi nicht gehabt. So ist halt die Sache noch beim Alten. Und noch einmal schlägt die Wabi die Augen auf. Angstvoll schaut sie auf das Papier in den Händen des Mädchens. Roserl aber flüstert ihr zu: „Mutter — was da drinnen steht, soll niemand erfahren! Ich bleib euer Ro serl und verdränge die Gretel nicht. —Du warst ja doch — alleweil gut zu mir! Wabimutter! Ein liebes Lächeln liegt um den Mund des Weibes. Der Pfarrer tritt in die Stube. Die Weibsleute vom Dixenbergerhof knien hinter ihm nieder. Still und gut lehnt die Wabi in den Pölstern. Die Wegzehrung nimmt sie voller Liebe. Jetzt ist ja ihre Not vom Herzen und das Roserl, das liebe Roserl hat keinen Haß. Jetzt wirdihr wohl auch der Herrgott verzeihen. Mit dem Blick der dem Tode schon ganz Nahen ruft sie Roserl noch einmal zusich. Die Tasche und die Briefschaften schiebt sie dem Dirnlein zu. „Dem Bauern ein Gut — gerettet! — Roserl! —“ Mehr sagt sie nicht. Das müde Haupt lehnt sie ganz zurück. Immer stiller wird sie. Und dann tut sie den letzten Seufzer. Eine Mutter ist gestorben, eine Mutter, dieaus Liebe zum Kinde zur Verbrecherin geworden ist. Roserl tut noch diesen Tag den schweren Gang. Dem Pfaffenhofer überbringt sie Dokumente und Geldbücher. Ein wenig schaut er, wie er nur weiß, warum die 24

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