Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1938

366 gehört es nicht zur Tierschau. Wir haben es nur hereingebracht, weil es unserer Schlange zur Nahrung dient. Wenn Sie noch eine halbe Stunde warten, können Sie — sehen, wie die Schlange Da schrie Trude auf: „Nein, das gibt es nicht! Die Schlange darf das arme Hühnchen nicht fressen! Nein, ich will nicht!“ Und sie weinte. Ihre Wangen waren rot und wurden weiß und der kleine Körper zuckte, die Händchen griffen nach dem Käfig. Da sagte der Aufseher: „Wovon soll denn unsere Schlange leben, Kind? Sie braucht doch auch Nahrung! Auch du mußt zu Mittag essen!“ „Aber ich esse kein lebendes, armes Hühnchen! Sag' doch, Mami, daß ich noch nie ein lebendes Hühnchen gegessen habe. Die Schlange soll einen Kuchen essen oder Spinat oder Erbsensuppe!“ Der Mann lachte. Da flüsterte Trude der Mama zu: „Mami, bitte, liebe, gute Mami, kauf' doch das arme Hühnchen! Dann kann die böse Schlange das arme Hühnchen nicht essen!“ Sie sah ihre Mutter so flehend an, Tränen standen auf ihren Wangen, ihr Herzchen schlug hastig. Da wandte sich Mama an den Mann: „Wollen Sie das Hühnchen verkaufen? „Ich weiß nicht. Ich werde den Direktor fragen.“ „. . . Kein übles Geschäft!“ sagte später der Direktor. „Um das Geld für dieses Sind sie schon fort? magere Huhn können wir uns drei fette Hühner kaufen ... Nun, dann such' aus dem Hühnerstall sofort ein anderes kleines Huhn, damit * * die Schlange nicht verhungert!“ Es war für Trude ein Freudentag. Sie ließ in ihrem kleinen Zimmer das * * Hühnchen herumlaufen, sie gab ihm zehn Kosenamen, sie streichelte es, sie küßte es auf den Schnabel. Ja, das arme Hühnchen hatte es gut. „Papi, du mußt zur Polizei gehen. Der böse Mann darf seiner dummen, ge¬ fräßigen Schlange kein Hühnchen mehr geben! Der Polizist muß es ihm verbieten. Er muß ihm sagen, daß er eingesperrt wird, wenn er nochmals arme, kleine Denk dir nur, Papi! Lebend werden die Hühnchen von der — — Hühnchen Schlange gefressen!“ O, das arme Hühnchen hatte es gut! Es verunreinigte das Kinderzimmer. Aber Trude konnte nicht einschlafen, wenn das Hühnchen nicht im Zimmer war, sein Hühnchen, das vor dem Tod bewahrt worden war. Im Laufe der Wochen wurde aus dem Hühnchen ein richtiges Huhn. Aber für Trude blieb es das arme Hühnchen. Wenn Trude in der Schule war, hatte es das Hühnchen, das ein großes Huhn geworden war, nicht gut. Die Köchin, das Stubenmädchen jagten das arme Tier in Winkel. einen „Nichts als Arbeit hat man mit dem Vieh! Ueberall liegt der Schmutz herum! ganze Wohnung riecht nach Hühnerstall!“ So riefen sie. Aber wenn Trude von Die Schule heimkam, begann für das Huhn wieder die schöne Zeit. der So ging es eine Zeitlang. Da wurde Trude krank. Viele Tage fragte es nicht dem Huhn, das man aus dem Kinderzimmer genommen hatte. Endlich wich die nach ikheit und der Arzt sagte: „So, nun kann Trude wieder essen. Vielleicht geben Krat Sie dem Kind Hühnerfleisch!“ Mama sagte zur Köchin: „Kauf Sie ein Huhn für Trude!“ Wozu steht uns Das Stubenmädchen sagte zur Köchin: Ein Huhn kaufen? das dumme Vieh im Weg herum? Jetzt ist Gelegenheit, daß es verschwindet. Wir sagen einfach, daß sich das Huhn verlaufen hat, daß es die Katze gefressen hat. Wir bringen es um. Um das Geld können wir beide zweimal ins Kino gehen. Man spielt einen wunderbaren Film!“ eben Es geschah, wie sie riet. Mittags aß Trude von dem Huhn, von ihrem Huhn, das ein armes Hühnchen gewesen war, ihr armes, geliebtes Hühnchen. Mama wußte nichts davon. Nach¬ mittags sagte die Köchin zu ihr: „Gnädige Frau, das arme Hühnchen ist ver¬ schwunden. Vielleicht wurde es gestohlen. Es kann auch davongelaufen sein. Es ist

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