Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1938

364 fester und beschleunigt ihre Schritte. Sie hat nicht eigentlich Furcht, aber es ist ihr hier doch, als tappe ein Unsichtbarer hinter ihr her, keuche seinen heißen Atem in ihren Nacken. Die Hälfte des Weges hat sie schon zurückgelegt. Da kommt die Stelle, an der sie nicht gern vorübergeht. Dort, wo die riesigen Tannen etwas vom Wege zurück¬ treten und eine kleine Lichtung freilassen, ragt fahl ein hohes Kreuz empor. Geister¬ haft glimmt es auf in der Finsternis, saugt den Blick des Wanderers ein. Wie ein Schrei, nein, wie ein wimmerndes Seufzen: Bete für eine arme, sündige Seele, und vielleicht noch nicht entsühnt ist! Bete die in ihrer Maienblüte dahin mußte — für einen Schuldigen, der das Kainszeichen an der Stirne trägt und ruhelos die Stätte seiner blutigen Tat umkreist Die alte Frau kennt die Geschichte dieses Kreuzes. Sie ging damals noch zur Schule, als eines Tages schreckhaftes Raunen durchs Dorf ging: „Draußen im Wald liegt einer erschlagen! Da gingen sie hin — und kamen heim mit bleichen Gesichtern. Das Grauen stand darin. Den Toten bettete man in die Erde. . . am Orte der Bluttat errichtete man ein — Und vergessen ist sein Name... Aber sein Schatten weht noch. Kreuz. Die alte Kathrin muß solch unglückselige Seelen zur Ruhe beten. Sie wird ihr Lebtag nicht fertig mit ihren Kranken und Toten. „Herr, gib ihm die ewige Ruhe!“ murmelt sie und schreitet hastiger, mit ein¬ gezogenen Schultern. Als sei der Schatten des Gemordeten auf ihren Fersen. Doch da schimmern schon die Lichter der Stadt. Bald hallt ihr Schritt auf dem nassen Basaltpflaster. Die Kathrin sitzt in der Apotheke und wartet auf die Fertigstellung der Medizin. Die mitleidige Apothekerfrau reicht der erschöpften Alten ein Glas starken Weines. „Hier, Kathrin, das gibt wieder Atem und Wärme“, sagt sie und bedauert die arme Frau, die noch durch das Wetter zurück muß. „Bloß dat ick „Och, ick bin dat gewohnt“ meint diese und trinkt behaglich. als wenn ick is vandag so schlecht sehen kann. Wat mag dat mit die Ooge sin? Dat in dichte Nebel herinsieht. Op de Straß liep ick all tegen ene Laternepohl.“ „Wird nichts Besonderes sein. Vielleicht der scharfe Ostwind, der die Augen gereizt hat“, tröstet der Apotheker. „Das geht vorüber.“ „Jo, jo, so wird es woll sin“, gibt sich die Alte zufrieden, sagt „Gute Nacht“ „Vergelt's Gott“ und nimmt den Rückweg unter die Füße. und mit dumpfem Elf Uhr ist es geworden, als die Botenkathrin endlich todmüde Kopfin den Bettkasten sinkt. Sie fährt am folgenden Morgen aus schreckhaftem Traum auf. Was war das? sie. Funken — würgte Eine unheimliche Gestalt hauchte sie an mit Feueratem sprangen in ihre Augen hinein. * * Es ist so stockfinster um sie her. Ihre Glieder zittern fröstelnd, und doch glüht Kopf. In den Augen fühlt sie ein dumpfes Bohren, ein Prickeln und Brennen. der Sie stößt die Läden auf — kein Dämmerschein des Tages fällt herein. Ist es noch so früh? Aber sie hört doch in der Metzgerei drüben den Meister schon denn im Laden hantieren? Das Schaufenster liegt dunkel. Ja, arbeitet der im Finstern? Sie tastet sich zum Ofen, reibt ein Streichholz an. .. deutlich hört sie das Auf¬ sprühen der Flamme — doch kein Lichtschein fällt in ihre weitaufgerissenen Augen.. Eine entsetzliche Ahnung schraubt ihr plötzlich die Brust zusammen. Mit zittern¬ denHänden streicht sie ein zweites Hölzchen an — wieder bleibt alles dunkel! Blind !... Sie ist blind! —einen Schrei, Einen furchtbaren Schrei stößt sie aus, wie ein Tier in Not der die Nachbarn aufschreckt und zusammenruft. Dann gleitet sie von der Ofenbank herunter. Steif liegt sie Am anderen Tag raunen die Leute sich zu: „Die Kathrin is an't sterve. Sie hat Fieber!“ Schreck teveel gekriegt. Blend is se geworde. Un dorbei dat arge von nun kommen So wurde es der alten Kathrin letzter Botengang. Andere mußten und für sie beten.

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