Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1938

362 gegenklingt! So, wie du die Welt empfindest, ist sie nicht! Nur haben leider viele abertausende Menschen, teils aus eigener Schuld, teils durch die Umgebung bedingt, ihre Liebe zur Natur, der größten Erhalterin des reinen Lebens, verloren! Jeglicher Not, Armut, jeglichem Elend trotzet eine Seele, die das Leben als wunderbar erkannt hat!“ Die Botenkathrin. Von Henriette Brey. Das sind die „zwölf dunklen Nächte“, wo das wilde Heer Gewalt hat. — Wüst ist es draußen. Der Sturm peitscht Regen und Eisschloßen gegen die Fenster¬ Baumkronen. scheiben, rüttelt an klappernden Laden, reißt wütend an den nackten aber schon — Fünf Uhr nachmittags schlägt es vom Turm der Dorfkirche. Erst fünf dunkelt es stark. Keinen Hund sollte man heute hinausjagen. Doch die alte, halbblinde Boten¬ frau muß noch den weiten, bangen Weg nach Sonnbeck zur Apotheke gehen. Die Kranken warten, da hilft nichts. Sie steckt den Kopf durch das einzige Fenster ihres kleinen Häuschens, späht die Dorfstraße hinab, ob das Doktorauto noch vor dem Krankenhause hält. Ja, es teht noch da. — Der Wind reißt ihr den Fensterflügel aus der Hand, wirbelt eine Wolke von Schneestaub in die Kammer. Fröstelnd kauert sie in der warmen Ofenecke, wartet auf die Rezepte. Sind heute arg viele Kranke im Dorf. Es dauert lange, bis endlich der „blöde Pitt“ vom Armenhause dahergestolpert kommt und ihr die Kassette mit den Rezepten bringt. Dreizehn Stück! Sie schmunzelt. Gott sei Dank. Dafür lohnt sich der Weg schon. Hm! Eigentlich ist's ja ein unchristlicher Gedanke, daß sie sich über die vielen Kranken freut! Aber die Leute sind ja nun einmal krank, sie kann doch nichts dafür. Und — für jedes Rezept erhält sie vom Apotheker zwei Groschen; außerdem noch von den meisten Leuten eine kleine Vergütung. Freilich nicht überall. Gerade bei den reichen Bauern sind manche, die mit einem knappen Dankeswort die arme Witwe genügend bezahlt zu haben glauben. Eigentlich bliebe sie heute lieber daheim, die Knochen sind ihr so steif, der Kopf so schwindelig. Ob sie bis morgen früh wartet? Zwar um den schwarzen Hannes, der wenn der sein schade, am Delirium im Krankenhause liegt, ist es nicht sehr Schuster=Jakob, süchtigen Beruhigungspulver erst morgen kriegt. Und dem schwind Tropfen doch nicht mehr der nicht leben und nicht sterben kann, werden Pillen und helfen. Aber das arme Katche, das sich so in Schmerzen krümmt — und Lehrers Aelteste — und der arme Jirkes=Johann — nein, nein, sie muß gehen. In Gottes Namen denn! Schwerfällig schiebt die Alte sich hinter dem Ofen hervor. Auf der heißen Platte steht die brodelnde Blechkanne. Daraus gießt sie den dünnen Zichorienkaffee in eine Untertasse, bläst hinein, schlürft in langen Zügen. Der wird den Magen schon warm halten. Draußen ist inzwischen Finsternis herabgesackt. Graue Wolken drohen am Himmel. Von ferne starrt der schwarze Wald, undurchdringlich, gespensterhaft. Aber die Botenkathrin fürchtet sich nicht. Seit zwölf Jahren ist sie allwöchentlich zweimal und öfter diesen Weg gegangen, durch Wind und Wetter, durch Sturm und Regen. Jeden Stein am Wege kennt sie. Er wird ihr auch nicht lang. Sie hat genug zu denken und zu sinnieren. Und manches Vaterunser zu sprechen für ihre Toten. Hui, wie kalt der Wind pfeift! Mit vorgeneigtem Kopf und krummgezogenem Rücken stemmt das alte Weiblein sich dagegen, schlurft mühsam durch den Schmutz der Landstraße. Die letzten Häuser liegen schon weit zurück. Einsamkeit greift nach ihr. Kein Menschenlaut weit und breit. Nur das Aechzen des Sturmes und die unheimlichen

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