Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1938

361 Stube spielen. Beschämt scharrt Straßmaier mit den Füßen unter dem Tische. Er denkt an sein Heim. Er ist Kaufmann. Er denkt an seine Arbeit, aber er muß schweigen vor der Wucht und Kraft dieser Worte. „Wir arbeiten,“ fährt der Köhler fort, „weil es uns so bestimmt ist und weil wir ohne Arbeit nicht leben könnten! Unser Lohn ist karg und gering, aber das kränkt uns nicht, haben wir doch die Gnade, leben zu durfen! Und wenn ich so hinausgehe des Morgens, wenn die Sonne noch nicht erwacht ist und die Nacht noch nicht entflohen, wenn alles Leben noch schläft und es nur leise ahnend im Osten licht wird, so .. . ich kann es nicht so schön ausdrücken,“ entschuldigt er be¬ cheiden*.., „so freue ich mich!“ „Warum?“ wagt Straßmaier einzuwenden. 77 „Warum?“ Der schlichte Mann erstaunt. „Warum? Nun ...nun.. meint er dann, „ich freue mich, daß ich lebe! Das ist einfach! Daß ich lebe!“ wieder¬ holt er langsam. „Herr, Sie haben die Welt noch nicht in ihrer Gänze gesehen,“ meint der Kauf¬ mann. „Sie mögen sie nicht kennen! Man darf da nicht urteilen!“ „Und wäre dem so,“ sagt der Köhler, „mich würd's nicht wundernehmen! So aberkenne ich ein Stückchen dieser Welt . . . ich war Matrose in meiner Jugend. „So,“ staunt Straßmaier. „Gerade deshalb bin ich glücklich, leben zu dürfen! Hier, wo das Haus meiner Jugend, meiner Väter, hier, wo von altersher meine Vorfahren gelebet, hier darf ich leben! Hier will ich leben! ... Herr,“ fährt er bedächtig fort, „ich kenne eure Welt, ich kenne eure Städte, eure Straßen, eure Prachtbauten und Heiligtümer! Nicht ablehnend will ich dieser Welt gegenüberstehen! Jeder lebe dort, wo er leben kann und will! Mir aber liegt die Natur im Blute, ich wäre unglücklich, wie ein gefangener Vogel müßte ich euer Los teilen! Sehen Sie! Der Wald ist meine Heimat. Gewiß ist er nicht so belebt in Ihrem Sinne! Gewiß würde mancher, müßte er da leben, dieses Dasein langweilig wähnen! Mitnichten! Nirgends,so wähne ich, sind Sie dem Leben näher! Hier, wo doch alles atmet, jubelt, klingt — ist E das nicht Leben? Ist das nicht lauteres Dasein? Gewiß leiden wir in Ihrem Sinne Entbehrungen! Wir aber können nicht anders! Vom Felsen sprudelt die Quelle .. wer kann mir ein besseres, gesünderes Getränk nennen? Im Moose die vielen Arten von Beeren und anderen Früchten .. wer kann mir schmackhaftere Delikatessen nennen? Die große Familie Pilze und so weiter? Es ist dies kein Geheimnis und auch kein Wunder, ein Wunder nur dahin, wie diese Herrlichkeiten zueinander abgestimmt sind! Wie sie so rein zusammenklingen mögen!“ Glücklich blickt er auf sein junges Weib, das im Kreise der Kinder wirkt. „Einfach ist dieses Leben,“ denkt Rieger, „und wie schwer machen es sich die Menschen! Wie ideal lebt dieser Mensch! Ist so ein Ziel nicht erstredenswert?“ „Groß,“ sagt der schlichte Mann, „ist diese Welt! Groß in ihren schönen Eigen¬ schaften, aber die Menschen sollten sie besser verstehen!“ Draußen ist es indes dunkel geworden. Bäume und Sträucher bergen die Dunkelheit in ihren Armen. Der Köhler ruft seine Familie zum Gebet, schweigend nehmen die Gäste an dem einfachen Mahle teil. Straßmaier, der sich bald zu den Ansichten des Köhlers bekannt hätte, fällt im Kauen in seine früheren Ansichten zurück, Not, Elend und so weiter. Kaum aber sieht er, wie die Augen der Kinder, des Vaters, der Mutter leuchten, kaum kann er diese rührende Freude, diese Liebe verstehen. Heilig ist dieses Mahl, Jugend und Alter vereint, und über all dem ein Segensbund des Lebens. Glückliche Menschen, herrliche Menschen, denkt Rieger. Beim Abschiednehmen betrachtet er die harten, arbeitsvollen Hände seines Gastgebers. Heilige Runen, die die Arbeit gefurcht, leuchten ihm entgegen. Zu Straßmaier aber spricht er: „Es ist heute wie früher nicht schwer, der Welt etwas Schönes abzugewinnen, wenn in dir noch eine Saite dem Schönen ent¬

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