Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1938

360 Ruhig und still ist hier die Welt. Kein einziger Ton, der irgendwie an einen Mißklang erinnerte, ist zu vernehmen. Sie ruhen nun im üppigen Waldgrase, das von Heidelbeersträuchern durchzogen ist. Leben in tausendfältigster Abstufung um¬ gibt sie. Der kleine Käfer, der jetzt vor ihren Augen einen Grashalm erklimmt, die Spinne, die dort in den dichten Flechten verschwindet, der Schmetterling, der über ihren Köpfen dahingaukelt — sie alle leben, sie alle sind Geschöpfe dieser Welt, sie alle loben diese Welt, sie alle vertrauen! Freilich tritt auch an sie das Los des Tages! Freilich leben auch sie von den Schwächeren! Wie wundervoll aber diese Welt geschaffen wurde, lehrt uns ihr Anblick! Wie wundervoll und herrlich unser Leben gestaltet wurde, lehrt uns dies kleine, unscheinbar pulsende Leben! Gleich uns sehnen sie sich nach Sonne, Licht und Freiheit. Gleich uns vollenden sie als Glied unbeachtet ihre Sendung. Sonnenvergoldet scheint dies kleine Waldwinkelchen zu sein. Und wenn ihre Augen so schauen und verstehen, so überkommt ihre Herzen die Heiligkeit dieses Daseins! Vergessen alle Mühe und Not, vergessen aller Kummer! Dort, dieser unscheinbare Grashalm, wie ihn die Sonne umflutet, ist er nicht ein Wunderwerk? Dort, das Blatt, deutlich ist sein Gerippe zu erkennen, ist es nicht ein Kunstwerk? Und wie viele solcher Werke zerstören wir! Wie viele solcher Wunder so welken unbeachtet, verkannt dahin! Und wenn wir uns so betrachten, wie wir im Grase daliegen, wie jedes Aederchen pocht, jedes kleinste Zellchen auf unserem sind wir Körper aufnimmt und atmet, jedes Atom sich rührt, befiehlt's der Geist herrliche Geschöpfe?! nicht Sind wir nicht geboren worden, um dieser Welt alles Schöne abzugewinnen? Sind wir nicht geboren worden, dieses wunderbare Getriebe verstehen und erkennen zu lernen? Dort! Der buntgefiederte Sänger, am luftigen Wipfel der Fichte sitzend, preist er nicht in seinem Liede diese Welt? Singt er nicht Tag für Tag unermudlich das Lob dem Schöpfer? Groß ist diese Welt und mannigfaltig in ihren Wunderwerken! Groß auch soll unsere Liebe zu all dem Geschaffenen und Gebildeten sein! Demütig und beschämt sollen wir diese Wunder bestaunen! Denn nicht allein das „Empfangen“ ist unsere Sendung! O wehe jenen, die erdentfremdet und verloren ihre Wege gehen müssen! O wehe jenen, die diese Wunder nimmer begreifen werden! Grau, inhaltslos werden ihre Tage sein! Grau wird ihnen die Welt scheinen! Grau das Leben! Ein Hort Not, Elend, Katastrophen und ungerechtem Reichtum! von Schon sinkt die Sonne hinter den Wipfeln des Hochwaldes. Lange waren sie so dagelegen, die beiden Freunde. Träumend, sehnend. Kaum hatten ihre Augen die gemessen, kaum hatten sie diese Wandlung empfunden. Zeit Traumverloren hatte der eine in den Schrein dieses Lebens geblickt, indes der andere seinen weltreformierenden Gedanken nachgehangen war. Nun erheben sie sich, Straßmaier, der sehr auf sein Aeußeres bedacht ist, ist krampfhaft bemüht, jedwede Spur von seinen Kleidern zu tilgen. Der Weg führt sie durch heimelnde Gründe, über üppige Sumpfwiesen und wieder durch den hohen stämmigen Wald. Irgendwo, es ist hier gar nicht nötig, nähere Beschreibungen zu machen, scheint ein kleines Häuschen zu stehen. Ich sage irgendwo, denn gerade dieser Begriff wird uns mit der Umgebung schneller vertraut machen als irgend eine andere Bezeichnung. Rüstig schreiten sie der Behausung zu, schon öffnen sie die Türe, sie treten ein. Blumen zieren die Fensterchen des Holzhäuschens, in dem ein Köhler mit seiner Familie wohnt. Schön säuberlich ist es hier in der deutschen Stube, der breite geräumige Raum scheint glückliche Menschen zu beherbergen. Der rüstige Köhler setzt sich zu den Gästen und sie kommen ins Gespräch. Straßmaier, der auch hier wieder bestrebt ist, seinen Gedanken Raum zu schaffen, muß gar bald einsehen, wie wenig seine Meinung von der des schaffenden Mannes geteilt wird! „Unser Leben ist Arbeit! Unser Leben ist einfach,“ meint der. „Aber ich weiß, warum ich arbeite! Seine Hand weist auf die blondgelockten Kinder, die in der

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