Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1938

269 schwachen, schmalpfotigen Beine, das zurücktretende Kinn und die tief gespaltene, mit langen Schnurrhaaren ausgestattete Oberlippekennzeichnen noch weiter das Nagetier. Das stumpfe Kopfende, die Breite des Gesichts undder durchwegs behaarte, aber nur halb körperlange Schwanz unterscheiden die Schermaus oder Wasserratte (Arvicola amphibius) von den „echten“Ratten und Mäusen. Im unaus gewachsenen Zustande sind die Wühlmausarten (Arvi¬ colinae) wie schon A. Brehm sagte, untereinander „weniger leicht zu unterscheiden wie alle übrigen Säuger“ Erwachsen, wird die Schermaus 21 bis 25 Zentimeter lang, wovon 6 bis 8 Zentimeter auf den Schwanz entfallen. Die Schulterhöhe erreicht mehr als fünf Zentimeter, der Schermausgang in der Erde hat daher auch einen etwas größeren Durchmesser als der des Maulwurfes, und da sie nicht mit einem so vollkommenen Grabwerkzeug ausgestattet ist wie dieser, wird die Wand des Ganges nicht glatt gestampft und der „Erdaushub“ der Haufen, bleibt, wie schon erwähnt, grobkörnig. Der Bau ist einfacher, die Gänge sehr seicht, oft über¬ wölbt und in unberechenbaren Bogenlinien angelegt. Zeigt sich der Maulwurf nur zufällig und mehr in der tiefen Dämmerung, so kann man die Schermaus durch Zerstören ihrer flach¬ liegenden, oft recht augenfälligen Gänge veranlassen, sich auch bei Tage zu zeigen, weil sie bestrebt ist, sofort den Schaden auszubessern. Gute, geduldige Schützen können so an einem Tage einen kleineren Gemüsegarten von dem Schädling befreien, indem sie ihm „fürpassen“ Aber nur viel Geduld, größte Ruhe und unauffällige Kleidung führt zum Ziel, denn die Schermaus sieht mit ihren dunklen, etwas perlartig vortretenden Augen recht gut, und wenn auch die Ohrmuschel fast ganz im struppigen Pelz verschwindet, ist das Gehör doch sehr fein. Die Verbreitung unserer Wühlmaus ist viel größer als die des Maulwurfs und umfaßt dieganzen Länder der gemäßigten Landstriche der nördlichen Erdhälfte. Die Schermaus i t nirgends selten, reicht bis ins Hochgebirge und kommt nach Schaeffs „Bestimmungsbuch über die Säugetiere“ in drei Farben vor: Oberseite: 1. bräunlichgrau2. rostbraun3. dunkel braunschwarz Unterseite: weißlichgrau rostgrau schwarzbraun. In England gibt es schwarze mit schneeweißer Kehle, in Italien kleine schwarze undin Sibirien riesige gelbliche. Bei uns im Alpenvorland lassen sich zwei sogenannte „biologische Abarten“ unterscheiden, das heißt hauptsächlich nach der Lebensweise: 1. die Schermaus im engsten Sinne des Wortes (Arvicola terrestris), die mehr das freie, trockene Geländeder Felder, Aecker und Wiesen liebt, lange flache Gänge anlegt und der Landwirtschaft durchFraß und Sammeln von Wintervorräten ungeheuren Schadenbringt; 2. die andere Abart die sogenannte Wasserratte, bevorzugt feuchtes, oft sumpfigesGelände, hat kürzere Gänge, die unter Wasser münden, lebt sehr zurückgezogen und wird schon durch ihren Aufenthalt,der mehr abseitig von Siedlungen liegt, weniger schädlich. Der lateinische Name Arvicola (oder Paludicola) amphibius deutet auf den fortwährenden Wechsel des Aufenthaltes zwischen Land und Wasser. Bei dieser Abart sind sogenannte „Eßtische“ beobachtet worden, das sind flache, glatte Polster aus zusammengetragenem Sauer= oder Riedgras von etwa Braten¬ schüsselgröße, die sich die Tiere als Rast= und Speiseplatz errichten. Die Wintervorräte der Schermaus bestehen oft aus einigen Kilo Bohnen, Erbsen, Zwiebeln und Getreidesamen und dienen zur Aufbesserung im Spätherbst und Vorfrühling. Ein Winterschlaf wird nur vorüber¬ gehend bei hartem Frost gehalten Im Vergleich zum einsiedlerischen Maulwurf leben die Schermäuse meist paarweise, sind aber auf die Wahrung ihres „Jagdreviers“ eifersüchtig bedacht. Die Vermehrung erfolgt drei¬ bis viermal jährlich, die Zahl der Jungen schwankt zwischen zwei und sieben, wobei oft in einem Wurfdie verschiedensten Färbungen vorkommen. Das mit feinsten Wurzelfasernge¬ polsterte Nest wird in 30 bis 60 Zentimeter Tiefe angelegt, die Jungen aufopfernd gepf flegt 7 und am Ende der dritten Woche das erstemal „ausgeführt". Ihre erste feste Nahrungsind Grasspitzen, bald aber beginnt die Wühlerei mit nicht enden wollendem Wurzelfraß.Die Jungen desersten Wurfes werden noch im selben Jahre fortpflanzungsfähig. Wie alle Mäuse und Ratten hat die Schermaus viele natürliche Feinde, besonders großes und kleinesWiesel, Katze, Iltis, Waldkauz und Schleiereule lauern dem Tier gern auf, Füchse, Dachse undHunde setzen ihnen mit mehr oder weniger Weidmannsheil nach, auch Krähen, Elstern und Raben haben hie und da Glück, mehr noch der geduldig kreisende Mäusebussard. Aus diesem Feindesverzeichnis geht hervor, daß ein Freiauslegen von Gift höchst unklug (auch unzulässig) wäre. Alte, gewitzigte Tiere gehen nicht leicht in Fallen oder an vergiftete Brocken, wenn diese mit der menschlichen Hand in Berührung gekommen sind. Es gibt jetzt sogar kleine Federpistolen, mit denen man vergiftete Körner, ohne direkte Berührung, tief in die Erd¬ löcher schießen kann. Kostbare junge Obstbäume, deren Wurzeln oft zu rübenartigen Stümpfen zernagt werden, kann man durch rings eingegrabene, angebrannte Gummistücke vor Wühl¬ mausbesuchen bewahren. Am besten bewährt sich noch die einfache Klappfalle, die man aber vorher mit einer toten Maus abgerieben hat, und — den großen Pfaden der Schöpfung folgend: Schutz dem kleinen Raubwild, besonders den Mardern, allen Eulen, den Falken und dem Mäusebussard, welche die naturgegebene „Feldpolizei“ darstellen!

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