Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1938

268 Die Kinderstube wird auf das sorgfältigste ausgepolstert und liegt meist ziemlich weit vom alten Wohnkessel entfernt. Ueber die Form dieses Baues sind in den älteren Lehr¬ büchern immer noch die schematischen Bilder von Cadet de Vaux verbreitet, mit zwei ungleich großen, übereinander gelegenen Ringgängen, die untereinander und mit der zentralen, etwa kindskopfgroßen Wohnkammer durch Strahlgänge verbunden sind. Solche „Maulwurfs¬ burgen“ stellen die Ausnahme dar. Meist sind die Gänge weniger regelmäßig, oft spiralig und besonders bei jüngeren Tieren viel einfacher angeordnet. Bei steigendem Grundwasser werden häufig mehrere Stockwerke übereinander angelegt, die in dem oft meterbreiten Wohn¬ hügel ganz gut Platz finden. Dieser ist meist bewachsen, während die dem Schnitter so un¬ angenehmen Maulwurfshaufen nur den Erdaushub seiner oft weitverzweigten Jagdgänge darstellen. Die täglich sechs¬bis achtmal befahrenen Hauptstraßen, die sogenannten Lauf¬ gänge, sind mit festgestampfter Erde ausgekleidet und meist schnurgerade. Nicht selten senkt sich der Boden darüber ein wenig und ein oder das andere Pflänzchen kümmert etwas. Nie aber kommt es zu einem so massenhaften Absterben selbst größerer Pflanzen, wie bei den ober¬ flächlich liegenden, derberen, krummen Gängen der Schermaus, welche jede in den Weg kommende Wurzel auffrißt und deren Haufen an der ganz grobkrümeligen Erde erkenn¬ — bar sind. Die Erdhaufen von Maulwurf und Schermaus am Lande meist kurzweg „Scher¬ haufen“ genannt —werden dem Landwirt oft beim Mähen lästig, wenn sie ihm die Schneide der Sense „alle Finger lang“ verderben und er immer wieder nachwetzen muß. Die Haufen sollen daher sobald wie möglich mit dem Rechen eingeebnet werden, auch aus dem Grunde, damit sie nicht von Pflanzenwuchs überzogen und durch dessen Wurzelwerk zu einer ziemlich festen, die Mahd noch mehr behindernden Masse werden. Zwei Bauarten der Maulwürfe sind weniger bekannt: die Maulwurfsbrunnen und die Speisekammern. Erstere bestehen aus tieferen Schächten, in denen sich Grund= oder Sicker¬ wasser sammelt und die der Mull fleißig nach üppigen Mahlzeiten benützt. Die Speicher werden als menschenkopfgroße Hohlräume mit festgedrückten Wänden angelegt, in denen der unterirdische Weidmann seine Wurmbeute bis zu einer Masse von zwei Kilogramm zusammen¬ trägt und jeden Fluchtversuch dieser wirklich allerärmsten Würmer durch Abbeißen des Kopf¬ lappens und der folgenden Leibesringe verhindert. Diese schwere Verwundung beraubt zwar allein er ist imstande, im Laufe einiger Wochen den Verlust den Wurm seines Gehirnes — aus eigenen Säften und Kräften zu ersetzen. Bis dahin ist er aber meist schon aus dem grauenhaften „Konserventopf“ endgültig hervorgeholt worden. Ueber Nutzen und Schaden des Maulwurfs ist viel gestritten worden. Was davon zu halten ist, drückt sich im oberösterreichischen Naturschutzgesetz vom Jahre 1929 aus, welches den Maulwurf, im Gegensatz zur unbedingt zu verfolgenden Schermaus, unter bedingten Schutz nimmt, das heißt, seine Verfolgung nur in Obst= und Blumengärten sowie an Staudämmen gestattet. Im letzteren Falle kann und soll der Maul¬ wurf getötet werden, denn bei starkem Wasserdruck können seine Gänge der Ausgangspunkt eines Dammbruches werden. In Gemüse= und Blumengärten hingegen genügt die Ver¬ treibung des hier allerdings lästigen Wühlers, was rasch und gründlich dadurch geschieht, daß man durch die lockeren Haufen seine Gänge aufspürt und in diese länglich zusammengedrehte, legt. Diese ungefährliche Verletzung seines über¬ mit Teer oder Petroleum getränkte Fetzen empfindlichen Geruchssinnes vertreibt ihn bald endgültig. Von dem Eingraben gehackter Dornzweige und Scherben an den Gartengrenzen ist aus Gründen der Barmherzigkeit abzu¬ raten, denn ein Maulwurf mit arg verletztem Rüssel ist dem bitteren Hungertod überliefert; außerdem ist es auch höchst unklug, Feld und Wiese um unseren besten Bundesgenossen im Kampf gegen die Engerlinge zu bringen. — Um so verdammenswerter ist die Zusammen¬ setzung von Damenmänteln aus tausenden der winzigen Fellchen und es zeigt nicht viel mehr Hirn und Gemüt als das mittelalterliche „Heilmittel gegen Wechselfieber“: einen Maulwurf auf der flachen Hand sterben lassen. Nun aber zur Schermaus, diesem furchtbaren Schädling unserer Pflanzungen. Schon der erste Blick auf das meist schmutzig graubraune, oft ziemlich struppige Fell zeigt keine Aehnlichkeit mit dem schönen, samtigen Tiefgrau des Mulls. Name und Gebiß ver¬ weisen die Schermaus unzweideutig unter die Nagetiere oder Nager, die weitaus artenreichste Ordnung aller Säuger. Das Maul wird häufig halb offen getragen, so daß man unschwer die an der Vorderseite braungelben, mächtigen Nagezähne sehen kann, nur zwei in jedem Kiefer, die mit ihren meißelartig gestellten Schneiden jedweden Pflanzenbestandteil zernagen können. Darauf folgt eine große Zahnlücke, die durch die außerordentlich lange, säbelförmige Wurzel der ununterbrochen nachwachsenden Nagezähne bedingt ist. Dann folgen, schon nahe dem losen Kiefergelenk, welches ein Mümmeln der Nahrung erlaubt, die drei breiten, flach¬ kronigen Backen= oder Mahlzähne, deren zickzackartig angeordnete Schmelzleisten ein feilen¬ artiges Zerraspeln zulassen. Alles deutet auf Pflanzennahrung und bestätigt Vogts Ausspruch: „Zeige mir deine Zähne und ich sage dir, was du ißt.“ Der lange Darm, das Ueberwiegen der Verdauungs= und Vermehrungsorgane über die anderen Eingeweide, die kurzen, ziemlich

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