Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1938

267 Augapfel etwas vor. Im Südosten Europas lebt sogar eine Form mit ganz verkümmerten Augen, der „blinde Maulwurf“ (Talpa coeca). Ein außeres Ohr besitzt unser Maulwurf auch nicht. Nur ein schmales Häutchen am Ausgang des Gehörganges vermag diesen beim Graben zu bedecken. Auch die Oberlippe hat einen schmalen Saum, der sich beim Graben schützend über die Mundspalte legt, und die Nasenlöcher am weichen, beweglichen, fleischfarbenen Rüsselende stehen so nach abwärts, daß auch sie beim Vorstoß des Kopfes ins Erdreich von selbst ge¬ schlossen werden. Diese Schutzapparate sind um so notwendiger, als sie die feinsten Sinnes¬ organe des Maulwurfs schützen müssen; übertrifft doch der Geruchssinn des Mulls noch den des Hundes, wie Alfred Brehms Versuch beweist. In einer großen Kiste wurde etwa ein Viertelmeter Erde eingeschüttet und ein — wie immer —hungriger Maulwurf hineingesetzt. Sofort wühlt er sich in einer Ecke ein. Die Erde wird festgedrückt und in die andere Ecke ein Bröckchen rohes Fleisch gelegt. Nach wenigen Minuten lockert sich dort die Erde, das rosige Rüsselchen stößt hervor und der Bissen ist verschwunden. Auch das Gehör ist sehr fein entwickelt und wird durch ein sehr empfindliches Tast¬ vermögen, das besonders noch ferne Erschütterungen des Bodens anzeigt, unterstützt. Ein äußeres Ohr wäre nur ein Hindernis bei der Grabarbeit und der Gehörgang liegt ja ohne¬ dies unmittelbar an der Erde, welche als besonders dichtes Mittel den Schall weit besser als Luft und Wasser leitet, wie die kilometerweit hörbaren Klopfsignale verschütteter Berg¬ leute bewiesen haben. Sogar in der Beschaffenheit des Pelzes prägt sich die unterirdische Lebensweise aus. Der Haarstrich fehlt (wie bei Samt und Plüsch), somit kann der Maulwurf auch fast reibungs¬ los „rückwärts marsch“ in seinem Gang vollziehen; die Glätte des Samtpelzchens aber ver¬ hindert das Klebenbleiben feuchter Erdstücke Die Farbe scheint schwarz, ist aber meist ein sehr dunkles Grau, hie und da mit mehr bläulichem oder bräunlichem Schimmer. Die Neugeborenen sind kaum bohnengroß und rosig, dann erst sproßt ein zuerst fast weißes Pelzchen, das allmählich in ein immer dunkleres Grau übergeht. Von den inneren Organen fällt der Darm durch seine Länge auf, die das Zehnfache der Körperlänge beträgt, also mehr auf einen Omnivoren (Allesfresser) als auf einen Karnivoren (Fleischfresser) hindeutet. (Der Darm eines mittelgroßen Hundes ist ungefähr viereinhalbmal solang als seine Kopf=Rumpf=Länge, der eines gleichgroßen Schafes 24mal solang, um den geringen Nährwert des Grases durch eine große Aufsaugeoberfläche möglichst auszunützen.) Beim Maulwurf kommt wohl auch der verhältnismäßig geringe Nährwert der Nahrung in — Betracht, denn diese besteht zum größten Teil aus Käferlarven insbesondere den Enger¬ lingen des Mai= und des Brachkäfers —und aus Regenwürmern. Diese fressen faulende Blätter, denen viel Erde beigemischt ist, das sind Stoffe, die der Maulwurf nicht auswerten kann und die er auch, wenn er einmal ausnahmsweise nicht heißhungrig ist, vor dem Genuß aus dem Wurmkörper herausdrückt. Der Darm des Engerlings ist mit feinsten Wurzeln gefüllt, an denen wieder ziemlich viel für Fleischfresser unverdauliche Zellulose vorhanden ist. An fetten Insekten aber, wie an den so außerordentlich schädlichen Maulwurfsgrillen (Werren) ist viel unverdauliche Chitinpanzermasse. Nicht selten allerdings trifft der Maulwurf auch auf einen ganz hochwertigen Braten, wenn nämlich eine Maus seine Gänge benützt und nicht rechtzeitig das Nahen des Mulls bemerkt. Wehe dem Lebewesen, und wenn es auch ein schwächerer Artgenosse ist, das der Maulwurf in seinem Bau antrifft, es wird schonungslos zerrissen und schmatzend verzehrt. Oft frißt er die Knochen mit, nur die Haut läßt er gern liegen. Innerhalb der Gänge kann ihm höchstens die Kreuzotter und das kleine Wiesel gefähr¬ lich werden. Wenn Alfred Brehm in seinem weltberühmten „Tierleben“ den Maulwurf „wild, außer¬ ordentlich wütend, blutdürstig, grausam und rachsüchtig“ nennt, so verfällt er auch hier in den Irrtum seiner Zeit, das Tierzu Stelle sehr zu vermenschlichen. Wenn er aber an anderer die ganzen Insektenfresser „stumpf,mürrisch, heftig, mißtrauisch, scheu“ nennt, so trifft er damit das Wesen unseres schwarzen Wühlers sehr wohl. Jedenfalls ist er vollkommen unge¬ sellig, mit Ausnahme der kurzen Zeit, in der es auch diesen Einsiedler zum Weibchen zieht; ja es ist beobachtet worden, daß sich auch der männliche Maulwurf an der Jungenpflege beteiligt, was um so notwendiger ist, als schon die kleinen Maulwürfchen einen nahezu un¬ stillbaren Hunger mit auf die Welt bringen, so daß die Kerbtierbeschaffung für die entwöhnten Kleinen eine kaum zu bewältigende Arbeit für das Muttertier sein muß. Dieses ist ein Muster an Fürsorge und Aufopferung. Bei dem ungeheuren Stoffumsatz ist die Tragzeit kurz (vier Wochen) und auch die Jungen wachsen sehr rasch heran. Bald aber ist das Familienidyll zu Ende; einer wird der Konkurrent des anderen und bald lebt jeder einzeln und wacht mit äußerster Bissigkeit auf die Achtung der Grenzen seines Jagdreviers ohne Ansehung des Alters und Geschlechtes. — Die Geschlechter unterscheiden sich äußerlich nicht voneinander und besuchen einander nur einmal im Jahr zwischen Frühling und Hochsommer. Die Zahl der Jungen eines Wurfes schwankt zwischen drei und fünf.

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