Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1938

266 Hier knüpft schon form, verbunden mit einer vorwiegend unterirdischen Lebensweise. — das Vorurteil an, denn zahllose Irrmeinungen der früheren Naturgeschichte haben bewiesen, daß der Aufenthalt an düsteren Orten oder nächtliche Lebensweise allein genügt hat, um selbst so nützlichen Geschöpfen wie Eule, Igel, Kröte und Fledermaus die unsinnigste Ver¬ folgung einzutragen. Erst die letzten Jahrzehnte haben diesen Vielverfolgten den gesetzlichen Schutz gebracht. Sehen wir uns einen Maulwurf genauer an, so zeigt er sich als putziges, samtschwarzes Tierchen von 15 (höchstens 17) Zentimeter Gesamtlänge, wovon nur 2½ bis 3 Zentimeter auf das Schwänzchen zu rechnen ist. Vom Maul sieht man zunächst gar nichts; sein Name bezieht sich auch nicht etwa darauf, daß er mit dem Maul die Erde aufwirft, sondern auf den, heute noch in niederdeutschen Gebieten gebräuchlichen Ausdruck „Molde“ für Ackererde, die der Maulwurf mit kurzen, ruckartig wühlenden Kopfbewegungen aus seinen Gängen an die Oberfläche bringt. In vielen Gegenden wird er Moldwurf oder kurzweg Mull genannt. Der Artname Talpa europaca L., den ihm Linné gegeben hat, soll besagen, daß er ein kennzeichnendes Tier der Tierwelt Europas ist, doch fehlt er Irland und den Hebriden und ist anderseits bis Japan und bis zum Amur verbreitet. In den Alpen geht er bis auf 2000 Meter, also weit über die Baumgrenze. Wiese, Feld, Acker liebt er am meisten, der Wald sagt ihm wegen des dichten Wurzelwerkes weniger zu, denn schon eine etwa bleistift¬ dicke Wurzel, welche eine Schermaus mit zwei Bissen spielend durchtrennt, ist ihm ein höchst lästiges Hindernis. Ein Blick auf das Gebiß läßt ihn als echten Insektenfresser erkennen, dessen feine, spitze Zähne zwar ein vollkommenes Werkzeug zum Erfassen und Töten von Kerb¬ tieren darstellen, ihm aber ein Abreißen von Pflanzenteilen nicht gestatten. Das Gebiß ist vollständig, die stiftartigen Schneidezähne stehen im Oberkiefer senkrecht, im Unterkiefer schief, die dolchförmigen Eckzähne erinnern mit ihrer feinen, etwas zurückgekrümmten Spitze an die Fangzähne der Raubtiere, die sogenannten Lückenzähne sind klein und einspitzig, die Backen¬ zähne mindestens dreispitzig. Ein Maulwurfsgebiß von zehnfacher Größe würde das eines Tigers an Furchtbarkeit weit übertreffen. Am Schädel fällt die langgestreckt kegelförmige Gestalt auf, in der wir einen vorzüglichen Keil zum Durchdringen der Erdschollen erkennen. Die Jochbogen sind schwach, eine Augenhöhle nur angedeutet, der Hirnschädel ziemlich flach und dünnschalig. In ihm ruht ein verhältnismäßig kleines, gänzlich windungsloses Gehirn, dessen geringe Entwicklung schon die minderen geistigen Fähigkeiten des Maul¬ wurfs anzeigt und auf seine nahe Verwandtschaft mit den ältesten Säugetierformen der Vor¬ dem zeit hindeutet. Das gleiche gilt von den ihm sehr nahe verwandten Spitzmäusen, die mit an Maulwurf das bewegliche, feine Rüsselchen, den Samtpelz und die Unersättlichkeit Insektennahrung teilen, während der behäbige Igel zwar auch zu den besten Kerfjägern zählt, sich aber doch hie und da eine überreife Frucht genehmigt und bekanntlich das Gegenteil eines Samtkleides trägt. Er steht entwicklungsgeschichtlich den Ursäugetieren am nächsten. Wie einheitlich der Bauplan des Säugetierkörpers ist, beweist die Siebenzahl der Hals¬ wirbel, die auch beim Maulwurf so gut als bei Kamel oder Giraffe zu finden ist; allerdings sind die Halswirbel des Maulwurfs stark verkürzt und einige etwas miteinander verwachsen. Aeußerlich macht der Maulwurf einen halslosen Eindruck. Das Skelett ist ziemlich zartknochig, nur das Knochengerüst des Schultergürtels und der Vorderbeine ist massiver und in vollkommenster Weise der ungeheuren Grabarbeit angepaßt, die der Maulwurf Tag und Nacht, Sommer und Winter leistet. Kann er doch keine zehn Stunden ohne Nahrung bleiben und muß bei seinem regen Stoffwechsel ein= bis eineinhalbmal soviel Nahrung täglich aufnehmen, als sein Gewicht beträgt. Kein Säugetier hat im Ver¬ hältnis zu seiner Größe ein so langes, dickes Schlüsselbein wie der Maulwurf und bei keinem anderen besteht eine Gelenkverbindung zwischen Schlüsselbein und Oberarmknochen. Dieser ist stark verkürzt und mit hakenartigen Sehnenansätzen versehen, das gleiche gilt von Elle und Speiche, die den Unterarm bilden. Nur die riesige, schaufelförmige Hand ragt, haarlos und fleischfarben, aus dem Pelz heraus und ist mit ihrem sehr derbhäutigen Handteller nach rück¬ wärts und außen gerichtet, so daß der Maulwurf beim Gehen den ebenen Boden nur mit der Innenkante der Hand berührt. Diese ist mächtig verstärkt durch einen nur den Maul¬ würfen eigentümlichen Knochen, das Sichelbein. Die fünf Finger sind fast ganz durch Spann¬ häute verbunden und tragen gekrümmte, stumpfschneidige Krallen. Damit ist ein Werkzeug geschaffen von so hoher Vollkommenheit für die Fortbewegung im Boden, daß der Natur¬ forscher Floericke den Maulwurf den „Schwimmer im Erdreich“ nannte. Die Schnelligkeit, mit der sich der Maulwurf in mittelweichen Boden eingräbt, ist überraschend groß. Wenn er uns aus einigen Metern Entfernung wahrgenommen hat, vermag er sicher zu entkommen und wenn wir noch so rasch hinspringen. Dieses Wahrnehmen wird kaum durch die Augen erfolgen, denn diese sind wohl nur imstande, hell und dunkel zu unterscheiden, haben etwa Mohnkorngröße und liegen tief im Pelz versteckt. Nur bei besonderen Gelegenheiten, z. B. beim Schwimmen, das der Maulwurf meisterhaft versteht, legt er die das Auge überdeckenden Härchen auseinander und drückt den

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