Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1937

376 Unterdes erschien Mariedl, der Engelhoferleute älteste Tochter, ein zwanzig¬ jähriges, rankes, blondes Dirndl, vom Dampf und vom strahlenden Eifer der Küchengeschäftigkeit umquirlt, in der Diele und wollte sich die Tasche der Mutter holen, um die nötigen Gewürze, die die Mutter im Dorf eingekauft hatte, auszu¬ kramen. „Ein Landschaftsmaler, hat der Oberlehrer g’sagt?“ fragte der Bauer sinnend sein Weib, „einer aus der Großstadt, natürlich ein Stadtmensch!“ Die Bäurin nickte groß, dann löste sie das schwarze Schwalbentuch vom Kopf und steckte sich hurtig die Flechten auf. Mariedl loste auf die Zwiesprach der Eltern und meinte dann neugierig=schmeichelnd: „Was meint der Vater?" Der Bauer brummte ein bißchen und sagte dann, gewohnt, die großen Entscheidungen auf dem Engelhof seinen Kindern nicht vorenthaltend, halb lächelnd, halb ernst: „Ein Landschafts¬ maler möcht' zu uns kommen auf Sommerfrisch, hm!“ — „Dr. Fritz Schwab heißt er,“ entsann sich die Mutter, „ich hab' dem Oberlehrer gesagt, er kann kommen; warum nit auch? Wenn er sich den Engelhof einbildt, er schreibt nämlich von den Eschen und vom Engel, Bauer, mich tät' es freuen, wenn es auch in unserm Stübl einem gefallen möcht, ein Mannsbild ist ja nit so heiklig, gelt, Mariedl?“ „Meintswegen tut, wie ihr wollt. Das Gescher' habt doch ihr Weibsleut mit dem Fremden, —und die paar Kreuzer könnt's auch brauchen, gelt, Mariedl?“ Vater und Mutter wandten sich so an die große Tochter, Leid und Freud mit den Kindern teilend. Mitten im Trubel der Mahlzurüstung wirbelte es nur so durch das Hirn des Dirndls, das Neue, das in etlichen Tagen auf den Engelhof kommen sollte, überschauerte das Mädchen allbereits. Ein Landschaftsmaler als Sommer¬ gast? Ausgerechnet den Engelhof wünscht er sich als Bleibe? Warum denn das? Mit einem Male taucht es klar in Mariedls Erinnerung auf! ** * Vor einem Jahr ist's gewesen. An einem frühen Sommerabend, als der Tag in tausend Sonnenschleiern zur Neige sank. Vom Kirchdorf herauf sang bereits die Aveglocke in müden Schlägen. Mariedl spülte eben am silbernen Hausbrunnen, der unermüdlich drauflosplätscherte, die letzten Kannen und Böttchen, als Schritte vom Bergweg niederklopften. Touristen waren es, zwei Männer, eine Dame. Müde traten sie unter die hohen Eschen, die wie heilige Wächter den Engelhof beschirmen und ließen bewundernd die Blicke über Hof und Hag und Tal schweifen. Gemächlich schlenderten die Fremden zum Brunnen her, daran Mariedl emsig weiterwusch. „Guten Abend!“ rief der große, dunkle Mann zur Mariedl her, eine feste Luis¬ Trenker=Erscheinung, „Sie haben ein wunderbares Heimatl, Fräulein. Mariedls Wangen überzitterten purpurne Wellen. „Ei wohl, schön ist's gewiß, grad beim Eschenplatzl vorn, gelt, wenn man das ganze Tal überschauen kann. Die Be¬ gleiterin, ein zartes Stadtfräulein, erkundigte sich nach dem Hofnamen und nach dem Engel, der gegen Osten stand. „Drum ist's der Engelhof, seit uralten Tagen, sagt man, stünd' der Engel schon dort, wie ein Schutzengel, man kann sich frei gar nit fürchten bei uns, mein ich immer.“ Alle drei Fremden lachten ein bißchen und dann meinte der Große, Dunkle zu seinen Begleitern: „Der Hof ließe sich prächtig malen, ein entzückendes Sujet.“ — „Versuche doch, Fritz,“ zwitscherte das zierliche Dämchen, „du bist doch Landschafter, du könntest das Haus samt den Eschen und — samt dem hölzernen Engel malen, vielleicht kriegst du auch den lebenden Engel drauf.“ Der Maler — denn dies war der große, dunkle Mann — kniff erbost die Lippen zusammen und starrte bloß Mariedl an, die sich wie wehrlos gegen den Spott der Stadtdame mit einem knappen Gruß gegen die Diele kehrte. Es schien, als wollte der Fremde noch einmal den Mund zu einem Wort der Liebe auftun oder dünkte es bloß Mariedl so? Nie konnte sie dies Erlebnis am rauschenden Brunnen vergessen, als die drei Fremden über den Engelhof querten. Ein Landschaftsmaler, hatte der Vater gesagt. Sie strich sich wirsch die Haarsträhnen zurück, als wollte sie etwas verscheuchen, dumme Gedanken, als ob es nit in der Großstadt ein Dutzend Landschaftsmaler — gäb, oder sollte sich wirklich der dunkle, fremde Mann nochmals zum Engelhof begeben, das Wort der Liebe nachzuholen?

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