Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1937

375 Sommergast im Engelhof. Von Paul Graff=Ederer. Während der Priester hinter den rotkittligen Meßbuben in die Sakristei zurück¬ schritt und der Organist noch ein paar rauschende Orgelweisen durchs Schiff der Pfarrkirche brausen ließ, schoben sich die Kirchgänger allbereits aus den schmalen, verstaubten Bänken und strebten der Weit' zu. Die Bäuerinnen spreiteten die Für¬ tücher achtsam glatt, taten einen Knicks vor dem Hochaltar, daran die Sonntags¬ sonne in keuschen Wellen hinströmte, und ließen sich vom Schwarm der Beter zum Tor schieben. Dann und wann mischte sich bereits ein helles, lachendes Sommer¬ kleid eines frühen Sommergastes ins Farbengepränge der dunklen Bauernjoppen und der schwarzen Schwalbenschwanzkopftücher, die die Bäuerinnen im einsamen Bergdorf noch trugen, das wie ein Edelstein im Kranz hoher, blauer Schroffen und Zinnen eingebettet lag, fernab der großen, lärmenden Welt. Die Engelhoferin warf einen raschen Blick aufs Zifferblatt des niederen Kirch¬ turmes, der seinen kupfergleißenden Helm über die durchsummten Lindenkronen des Freithofs emporreckte, und schlüpfte zwischen den Grabreihen, die ein Blütenmeer überrieselte, dem Freithoftor entgegen, das auf den männerfrohen Dorfplatz mündete. „Grüß Gott, Engelhoferin, verlaubt, ein paar Wörtl hätt' ich grad mit Enk zu reden, ich will Enk nit lang verhalten,“ sagte der kleine, sehnige Oberlehrer Eduard Hirnschrodt, der eben hinter dem steinernen Torbogen beim Albrechtskeller hervortrat und eine Briefschaft in seinen Händen hielt. Er war Vorstand des Fremdenverkehrskomitees und spielte Sommers und Winters schier die wichtigste Rolle im Dorf, seit der Fremdenverkehr seine großen Wellen hier hereinspülte und aberzähligen Bauern, Bergführern und Mädchen Brot und Verdienst brachte. „Vor ein paar Tagen ist da ein Schreiben an das Fremdenverkehrskomitee kommen, ein möchte für Landschaftsmaler aus der Hauptstadt — Dr. Fritz Schwab heißt er — die Sommermonate ein Fremdenstübchen mieten, und zwar, schreibt er, von einem stattlichen Hof, ein wunderbares Eschenplatzl sei davor gelegen, an der Ostwand stünd' eine große Engelsstatue — ob es nit möglich wär’, grad in diesem Hof ein Stübl zu kriegen, schreibt er, der Herr Landschaftsmaler Fritz Schwab. Er kann also nur den Engelhof meinen, hab’ ich mir sofort gesagt, wie ich das Schreiben g'lesen hab’, und drum frag' ich Enk gleich, Engelhoferin, könnt und wollt Ihr den Maler nehmen, ich tät ihm's morgen schreiben!“ Die Engelhoferin brauchte sich nit lange zu besinnen. Ein ledigs Mannsbild, sagte sie sich, nimmt bald mit einem saubern, bescheidenen Stübl vorlieb, und wenn sich dieser Landschaftsmaler just den Engelhof einbild't — schau, schau, wie ihm warum sollt' man denn ab¬ grad die Eschen und der Engel aufgefallen sein — schlagen? „Guat, Herr Oberlehrer, er kann jederzeit kommen, ich dank für die Ver¬ mittlung!“ Sie streckte dem Lehrer die feste Frauenhand zu und schritt nach drin¬ genden Einkäufen beim Dorfkramer mit raschen Schritten, die staubige Straße ein Stückchen benützend, zum Engelhof empor, wo die Eschen im warmen Winde ein leises Liedlein rauschten. Die Stalldirn trug eben den Zuber voll kühwarmer, schäumender Milch aus dem Kuhstall über die Diele her, Dampfqualm quirlte aus der Küche mit dem häfenbesetzten, neuen Sparherd, der Engelhofer stand in blühweißen, rupfernen Hemdärmeln, einen hollerblauen Fürfleck achtsam um die Hüften geschlungen, sinnend vor dem Barometer und schüttelte seinen eckigen Bauernschädl, als müßt das Wetter schon über den Bühel herkollern. Wie toll sumsten die Fliegen um die Essigflasche, die sich auf dem Vortisch befand und wie ein gelbes Grab das lästige Geschmeiß verschluckte. „Bist awoll schon da, Bäurin,“ sagte der Bauer, „wir trachten beizeiten zum Essen, rait ich.“ Die Bäurin setzte die geflochtene Tasche auf. die Siedeltruhe und tat einen munteren Schnaufer. „Der Oberlehrer laßt dich — — „Er hat mir eine G'schrift zeigt, „So, so, der. Is recht!“ grüßen, Baur! vom Fremdenverkehr, sagt er. Ein Landschaftsmaler möcht auf den Engelhof kommen zur Sommerfrisch, sagt er. Ob wir ihn nit behalten möchten?

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