Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1935

376 Ansere Toten. Und wenn durchs Land die Stürme klagend gehen Und auf den Gräbern brennen tausend Kerzen, Dann wachen auf die heißgeliebten Toten Und pochen stumm an tausend Menschenherzen. Die Stillen, die im Meeresgrunde schlummern. Die grausige Tiefe schlang sie, fern dem Hafen, Die Treuen, die, in heißer Schlacht verblutet, fremden Land in Massengräbern schlafen. Im An Stirn und Brust klafft ihre Todeswunde, Ihr Herzblut gierig trank die fremde Erde. Nun kommen sie in langen, stummen Reihen, Daß ihre Liebe nicht vergessen werde. Sie strecken flehend die zerschossenen Arme Und weinen lautlos um ein fromm Gedenken, Und harren, daß du faltest deine Hände: „Herr, wollest ihnen ew'ge Ruhe schenken!“ Doch ob den Herzen, die im Grabe schlummern, Und ob den Herzen, die um Tote klagen, Schlägt das erbarmungsvolle Herz des einen, Der Todesnot und Trennungsweh getragen! Henriette Brey. Das kleine Lied. Erzählung von Maria Mittermayer. Es war in derZeit des großen Weltbrandes. Eben hatte eine ungarische Heeresabteilung das Städtchen D * ** * besetzt. Noch lagen im Gotteshause die — Gebetbücher offen, Geschäftsläden waren zum Teil noch offen. Im Gottesacker leuchteten weiße Blumen auf einem frischen Grabhügel. Da sahen manche Soldaten mitMitgefühl darauf, umgingen den Hügel, der junges Leben barg. Leutnant Béla H. mußte immer wieder an diesen Hügel denken. Obwohl man jetzt im Städtchen einige Stunden der Ruhe erhoffte, saß der junge Leutnant düster in der Gesellschaft einiger Offiziere, die sich's in einem vornehmen Salon bequem gemacht. Er dachte an Ilona, seine treue Braut. Ob wohl unterm wei߬ — geschmückten Hügel da draußen auch ein Bräutchen lag, unter blühender Last? Ob vielleicht ein Bräutigam noch abschiednehmend dortgestanden, als man den — Feind immer näher rücken wußte. Wenn er so am Grabe seiner Ilona stünde — Nicht weiter denken! Ilona lebte, hatte ihm ins Feld geschrieben, gestern kam die Karte. Was doch die Erstürmung seine Nerven erregt hatte! Oberleutnant Miklés G., sein Freund, trat zu ihm, klopfte ihn auf die Achsel: „Na, Béla, wohin sinnest du? Wir müssen d'rauskommen, müssen uns erholen, haben nur kurze Zeit dazu! — Wer weiß, was die Nacht bringt Wollen den Abend genießen, Bruderherz! — Rauche doch Kamerad, das vertreibt düstere Gedanken!“ Er bot ihm eine Zigarette an; dann trat er zum Flügel und begann feurige ungarische Weisen zu spielen. Bald zog der Spieler die Aufmerksamkeit aller auf sich. Selbst Béla wurde froher und summte manche Stellen der Melodien mit den anderen mit, bis ihn Miklös aufforderte, ihn auf der Violine zu begleiten. Doch Béla schüttelte das Haupt: „Ich soll heute spielen?“ Da bestürmten ihn die Offiziere und meinten, er müsse doch bedenken, wie selten es im Felde vorkomme, daß man noch Instrumente vorfinde. Er möge doch seinen Kameraden zuliebe spielen. Vielleicht sei es für manchen das letzte Lied, die letzte kleine Freude. Da gab der Künstler nach und be¬

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