374 Die Zähne schlugen ihm aufeinander, seine Knie schlotterten. Jetzt — ehe die Mutter kam. Ihr schreiben? Nein, das nicht. Sie durfte nichts ahnen. Steif zog er sich empor, griff zum Ueberzieher. Es war dunkel geworden. Er machte kein Licht; tastete nach der Tür. Sein Rücken war eine Eisstange. Ausgehöhlt seine Brust. Seltsam kalt und tot lag das Herz darin. Ein Krampf preßte die Stirn wie mit Zangen. Schritt für Schritt, wie ein Nachtwandler, stapfte er die Treppe hinunter. Als sie am folgenden Tag die Leiche brachten — ach Gott, der Arme hatte wohl im Dunkel den Weg verfehlt und war in eine mit Wasser gefüllte Baugrube gestürzt da schrie einer durch den Jammer der Mutter hindurch gräßlich auf wie ein Tier. Heulend, irr. — Da wurde es Karl Steins grauenhaft klar, daß seine Tat als letzter Tropfen den Becher der Verzweiflung zum Ueberfließen gebracht — daß er Albert in den Tod gestoßen hatte. Albert ist tot „Karl — tot!“ schrie die Mutter immer wieder. Es klang wie „Kain — Abel!“ — Kain, der aus Neid seinen Bruder Abel gemordet hatte! ... Und er wußte, daß fortan sein Leben unstet auf Erden sein würde. Daß mitten hindurch ein abgründiger Riß klaffte, in den alles versank: Hoffen und Liebe und Licht und Zukunft. Ein armer Mensch schlug die Faust gegen das unsichtbare Mal auf seiner Stirn. Inntaler Kauze. Fanni Wibmer=Pedit. Der Wolfeles Wilde. Damals war Hötting noch ein Dorf, ein richtiges Dorf, und daß der Klein¬ häuslerssohn beimWolfele ein junger, schöner Bursch war, wird fast mehr wie hundert Jahre her sein, da er vor gut fünfzig Jahren als alter Mann gestorben ist. Der Wolfele liebte eine Höttinger Großbauerntochter, und wäre nicht der harte, bauernstolze Vater des Mädchens gewesen, an ihrer Liebe und wohl auch an ihrem Glücke hätte nichts gefehlt. So aber sprach der Alte zum unerwünschten Eidam: „Vor i nit stirb, kimmt mir so a Schlucker nit einer, dann von mir aus.“ Der Höttinger Großbauer aber war einer, wie der Krutz in Schönherrs „Erde“, für ihn galt auch der Leitspruch: „Vor i mi nit niederlieg, ziech i mi nit aus.“ Die Jungen warteten in Geduld, wußten in harten Stunden wohl selber oft nicht, auf was sie warteten, auf des Vaters Tod oder auf das Glück. Siebzehn Jahre gingen so dahin, der Bauer war noch immer rüstig; ein rechtes Bauernleben ist zäh. Die Jungen waren keine Jungen mehr, aber ihre Liebe war noch wie vom ersten Tag. Man möchte meinen, eine solche Treue müßte doch belohnt werden. Sie warteten vergeblich auf endliche Einsicht des Vaters. Da kam allen dreien ein anderer zuvor. Des Wolfeles Liebste starb an einem hitzigen Krank jäh dahin. Sie trug den Braut¬ kranz für einen stillen Hochzeitstag, er verdeckte ihr manchen zwiefarbenen Haar¬ strähn, der sich in den Jahren des Wartens zu Silber gesponnen. Der Wolfele jammerte nicht groß, aber seine Keusche, die sich in der Zeit her zu einem stattlichen Gütchen herausgewachsen hatte, verschleuderte er. Die Leute meinten, er sei aus¬ gewandert, weil sie ihn schon eine gute Weile nicht einmal mehr beim sonntäglichen Hochamt zu Gesicht bekamen. Nach Monaten trafen Jäger unter der Höttinger Alpe eine Klause an, in der der Wolfele hauste. Da er ungeschoren, langbärtig und menschenscheu war, hat er freilich nicht gut ausgesehen, und sie brachten die Kunde von dem wilden Wolfele ins Tal. Der alte, reiche Höttinger Bauer ist seiner Tochter auch bald nachgegangen, wird ihn doch nimmer recht gefreut haben das Leben.
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