Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1935

372 — mit dem Taschenmesser unter der Klappe her . .. schlechter Klebstoff! Da Schon sprang der Brief auf. Natürlich ein dickes Manuskript — oder wie man dies hieß — zurück, wie immer. Er schlug den Begleitbrief auf, verächtlich, im voraus schadenfroh. was war denn das? ... Seine Augen sprangen hastig über die Doch — Zeilen, wurden groß. und so bitte ich Sie, verehrter Herr Steins, diese prächtige Novelle noch etwas straffer und den Schluß nach den oben vorgeschlagenen Punkten zu ver¬ tiefen. Wir bringen sie dann sofort in unserer Zeitschrift. Honorar folgt gleich nach Abdruck. Ich wünsche Ihnen Glück — und mir: habe in Ihnen eine Goldader ent¬ deckt unter so vielem tauben Gestein . .. den echten Dichter! Schicken Sie mir alles, was Sie haben; ich lese es kritisch durch. Wird wohl nur geringfügiger Aenderun¬ die Klaue des Löwen ist nicht zu verkennen ... — gen bedürfen Seine Züge ver¬ Hart schlug die Faust des Lesenden auf das Fensterbrett. zerrten sich. Grau fahlte sein Gesicht unter den Sporen von Arbeitsruß, den das flüchtige Waschen auf dem Werk nicht ganz aus den Poren spülen konnte. Ruck¬ weise ging seine Brust, ächzend, mit pfeifendem Atem. dieser — dieser Also doch!... Also doch! Nun konnte er triumphieren — konnte auf ihn herabsehen, auf den rußigen Arbeiter — er, Albert, ein Dichter von Gottes Gnaden! Vielleicht eine Berühmtheit! Und die Mutter... sie würde verklärt hauchen: „Ich wußte es ja, mein Junge!“ Würde ihn weiter verhimmeln. Und Karl, der bedeutete nun erst recht nichts für sie. Seine Zähne knirschten, daß sie fast brachen. Dann aber schoß es siedend in ihm eine neue Woge von Schmerz, Wut und Neid. Von gelbem Neid! hoch: Albert soll den Kopf stolz tragen? Soll sich brüsten? Nein, ich — ich . .. nein, ich kann's nicht ansehen. Mag er weiter winseln. Den Brief —— den Brief... bekommt er . .. nicht ... Eine erbarmungslose Faust zerknüllte das Schreiben, das für einen armen Menschen Erlösung bedeutete. — es war noch Klebstoff daran — anfeuchten — zupressen Der gelbe Umschlag die heiße Hand eine Weile daraufgedrückt: da hielt er. Man sah dem dicken Brief nicht an, daß er geöffnet und um seine Seele bestohlen war. * Droben im Mansardenstübchen hockte Albert Steins am Tisch unter dem schrägen Dachfenster und nutzte, eifrig schreibend, das letzte Tageslicht aus. raffte — Doch dann warf er plötzlich ungeduldig die Feder hin, starrte finster mit zuckenden Fingern die vielen eng beschriebenen Bogen zusammen und ... zerriß sie in Fetzen. Er stöhnte. Preßte den Kopf in die langen mageren Hände. Elendes Stückwerk! Nein, es war ihm nun einmal nicht gegeben, die Traum gestalten seiner Seele lebendig zu machen. Der göttliche Funke war nicht in ihm. Unzulänglich sein Können — blödes Gestammel. es kehrte ja alles zu ihm zurück, was er an Geschaffenem hoffend — Denn aussandte. Immer wieder, immer wieder! O, diese entsetzlichen dicken gelben Briefe Päckchen, die seine verschmähten Geisteskinder bargen! Wenn er sie ankommen und wußte er schon um sein Schicksal. sah, Wozu noch sich mühen, weiter ringen? Wozu mühselig abzwingen wollen, was urgewaltig wie Felsenquell aus strömender Kraft hervorsprudeln mußte. doch Warum Mittelmäßiges in die Welt schleudern, wo ohnehin sich zu viel Dutzendware breit machte. Hervorragendes zu leisten, das war ihm ja versagt bewiesen all die Mißerfolge. Darum fort damit, ins Feuer. das Ach, er wußte: morgen früh würde er von neuem dem Zauber verfallen. Un¬ widerstehlicher Drang zwang ihm immer wieder die Feder in die Hand. Die Not das fiebernde Sehnen nach und Qual seines zur Entsagung verurteilten Herzens — irgendeinem Unerreichbaren, für das er keinen Namen hatte: er mußte es aus¬ 77.

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