Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1935

350 Dazu dient nun auch eine der breiten Oeffentlichkeit leicht zugängliche „Inventar¬ aufnahme“; um aber eine bloß trockene Aufzählung zu vermeiden, sollen nun inForm einer Wanderung durch Stadt und Land die schutzwürdigen Naturobjekte gesammelt in Erinnerung gebracht werden. Innere Stadt und Vogelsang. Wir beginnen am gewichtigen Quaderbau des Neutors, das vor vier Jahrhunderten gegen die furchtbaren Hochwasser errichtet worden ist und nun als Gendarmeriekaserne ver¬ wendet wird. In seinen altersgrauen Ritzen und Fugen haust ein unscheinbares Kletter¬ pflänzchen, das violett blühende Zimbelkraut, das sich selbst auf originelle Art ansamt, indem es im Herbst seine Fruchtstiele mauerwärts wachsen läßt, bis die Frucht eine Stein¬ palte gefunden hat; hier läßt die Pflanze die Samen fallen. Der Dichter Heinrich Seidel, S der Verfasser des prächtigen „Lebrecht Hühnchen“, hat seinerzeit mit unendlicher Muhe diese hübsche Mauerpflanze an den ursprünglich recht öden, eintönigen Flußmauerdämmen Berlins angesiedelt und diesen so ein freundlicheres Aussehen verliehen. Der Trollmannplatz ist baulich von hoher Schönheit, die nicht unwesentlich noch gehoben wird durch einen Baum, die Derfler=Kastanie. Aber auch unser in seiner Geschlossenheit einzig dastehender Stadtplatz besitzt einen wenn auch noch winzigen Baum, die hübsche kleine Wolfartsberger=Birke auf dem Torbogen des Hauses Nr. 37. In den schönen kühlen Höfen der stattlichen Bürgerhäuser erfreut uns die Bepflanzung mit wildem Wein (Heiser= und Meditzhaus) oder mit dem ungemein rasch¬ wüchsigen Kletterknöterich (Hotel Bauer). Einen herrlichen Gegensatz erblicken wir zur Sommerzeit in Zwischenbrücken, wo der dunkle Sockelfelsen des Schlosses Lamberg von Kletterrosen überwuchert wird. An den alten Mauerzinnen gegen¬ über dem Hauptportal des Schlosses wächst ganz vergnügt eine Birke aus dem Zwischen¬ dach. Platz —. Die Bergschul=Kastanie belebt den sonst wenig reizvollen dreieckigen vor der Berggasse, und diese wieder erfährt eine Belebung durch den hohen Lebens¬ baum (Tuja) neben dem Kaplanstöckl und die Akazie beim Theaterbrunnen. Zwei Lebensbäume und zwei Fliederbüsche bringen die schöne Marienstatue vor der Pfarr¬ kirche erst recht zur Geltung, deren weißer Stein sich schön von den dunklen Tujen abhebt. — Die gewaltige Westwand der Pfarrkirche bedarf noch eines Bewuchses mit Efeu oder mit Kletterwein, und wenn der edle Bogen des Heldentores erst eine gewisse Verwitterungs¬ oberfläche bekommen hat und die acht Linden um den Pfarrplatzbrunnen ihre Krone gehörig erweitert haben, dann erst kommt allenfalls die Fällung der roten Ro߬ Frage, die einstweilen dem Heldenplatz einen eigenen intimen Reiz verleiht. kastanie in Gegenüber der Hauptschule, im Garten des Rößlerhauses (Handel=Mazzetti¬ Promenade Nr. 33) beugen drei sehr alte Eiben (Taxus) ihre dunkelgrün benadelten Zweige weit über die Gartenmauer und lassen im Herbst ihre sonderbaren knallroten Schein¬ beeren fallen zum alljährlichen Gaudium der Schulkinder, die sie ohne Schaden verzehren. Dies ist um so merkwürdiger, als alle anderen Teile des Eibenbaumes ausgesprochen ind. giftig Das vielleicht schönste Naturdenkmal besitzt die Stadt in Gestalt der riesigen alten Hönigschmiedlinde im Garten des verstorbenen Medizinalrates Hönigschmied, dem es zu verdanken ist, daß der herrliche Baum trotz lockender Angebote von Holzhändlern erhalten ist. Lage und Alter des Baumes lassen es nicht ausgeschlossen erscheinen, daß einst geblieben ist in Schatten nach altem deutschen Brauch Gericht gehalten worden ist; jedenfalls seinem ist Baum uralt, denn schon auf dem Oelgemälde aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts der Linde, die damals ein Nachbar des alten Gilgentores war, als kräftiger Baum die abgebildet. Vom Hönigschmiedgarten fällt der Blick auf Josef Werndls ehemaliges Schloß, das jetzige Konvikt Vogelsang, in dessen Park eine Menge prachtvoll entwickelter aus¬ ländischer Bäume stehen, so mehrere Tsuga=Tannen mit ihren bloß zwei Zentimeter langen Zapfen, zwei riesige japanische eschenartige Bäume (Styphnolobium) und die stärkste Weymouth=Kiefer von Steyr, eine Föhre mit mehr fichtenartigem Wuchs und je Ein gleichartiger Baum steht neben fünf sehr dünnen langen Nadeln an jedem Kurztrieb. — dem Haus Enzinger, wo er trotz des nächstbenachbarten Neubaues in mustergültiger Weise geschont worden ist. Beim ehemaligen Gärtnerhaus steht eine sehr starke Schwarz¬ Föhre mit ihren fast spannlangen Nadeln, ein Baum, der sonst nur in den wärmeren Teilen Oesterreichs gedeiht. Bemerkenswert sind auch zahlreiche Eiben und gegen drei Meter hohe Buchsbäume am Nordabhang. Beim Verlassen des Konvikts=Gartens kommen wir am Garten des verstorbenen Bau¬ meisters Plochberger (jetzt Ambulatorium) vorüber, der hier nicht weniger als zwanzig verschiedene Eichenarten, viele seltene Koniferen und über 200 verschiedene Rosenarten gezogen hat. Jetzt, nachdem auch die Riesen=Tuja der Erweiterung des Ambulatoriums

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