Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1933

405 So in tiefes Sinnen versunken, sah sich der alte Vollbrecht plötzlich am Fuße seines Felsens, auf welchem heute das Gasthaus in Christkindl sich befindet. Wirr Felsblöcke und fast unübersteiglich türmten sich hier die vom Erdbeben abgestürzten in der Schlucht aufeinander und kaum hätte es jemand unternommen, sich unter und über das Gestein hindurchzuarbeiten. Dem Förster aber, dessen Seelenstimmung so recht zu diesem trostlosen Landschaftsbilde paßte, schien eine solche Anstrengung sehr lockend zu sein, vielleicht deshalb, weil er dabei seine Gedanken von seiner Häuslichkeit ab und auf andere Dinge brachte, und so drang er mühsam in die Schlucht ein, durch die er beim Aufstieg zum Försterhaus seinen Weg zu nehmen gedachte. Wie er so dahinstieg, bald sprang, bald kletterte, gewahrte er zu seinem Er¬ staunen in dem sonst fast glattabfallenden Felsen, worauf die Uhuhütte stand, einen klaffenden Spalt, der sich von weit über Mannshöhe bis zur Sohle des Grabens erstreckte und so breit war, daß ein starker Mann leicht durchschlüpfen konnte. Dieser Spalt erwies sich bei näherer Betrachtung als ein Eingang in das Innere des Felsens, vielleicht zu einer Höhle, die das jüngste Erdbeben geschaffen, denn der Förster konnte sich nicht erinnern, früher hier einen Höhleneingang bemerkt zu haben. Er war aber sogleich entschlossen, die Sache näher zu untersuchen und soweit als möglich in die finster gähnende Felsenöffnung hinein vorzudringen. Der alte Vollbrecht suchte daher aus dem Holze, das in den Gesteinsmassen so reichlich eingebettet herumlag, trockene, harzige Aeste aus, die sich als Leuchtspäne wohl verwerten ließen, befestigte einen guten Vorrat davon in dem Ledergurt, der ein Wams zusammenhielt, schlug Feuer und brachte bald eines der harzigsten Aestchen zum hellen Brennen. Der Schein dieser Flamme ermöglichte es dem Förster recht wohl, einige Schritte weit im Finstern deutlich zu sehen und, das lange Jagdmesser an einem Riemen griffbereit über den linken Arm gehängt, da er auf eine etwaige Begegnung mit einem Raubwild gefaßt sein wollte, sprang er über den halbmannshohen, dem Eingange vorgelagerten Felsblock hinab und befand sich so im Felsspalt, der sich bald als ein wenn auch schmaler, so doch gut gangbarer Weg in das Innere des Felsens erwies und den er ohne Zögern weiter verfolgte. Nach kaum vierzig bis fünfzig Schritten kam der Förster schon an das Ende dieses Ganges und befand sich nun in einer hohen, wie es schien, sehr großen Höhle, deren Boden aus feuchtem Lehm bestand, und an deren schwarzen, glitzernden Wänden hie und da Sickerwasser herabtropfte. Der Förster war über seine Entdeckung nicht wenig erstaunt und begann nach einigem Herumblicken vorsichtig das Innere der Höhle zu untersuchen. Sie erwies sich als ziemlich runder, hohler Raum im Felsen, dessen Wände glatt und senkrecht waren, nur gerade vor sich sah der alte Vollbrecht Gerölle und Steinblöcke sich auf¬ türmen und er schritt darauf zu, nachdem er vorher einen neuen, sehr harzreichen Span angezündet hatte, dessen Größe eine ziemlich lange Brenndauer er¬ warten ließ. Plötzlich blieb der Alte wie angewurzelt stehen, seine Augen starr auf einen Felsblock von halber Manneshöhe gerichtet, auf dem er eine kleine Gestalt zu er¬ kennen glaubte, wie er vermeinte, die eines Kindes, das merkwürdigerweise gerade hier einen sehr gesunden Schlaf tat. Allein als er leise näher trat und nun besser sehen konnte, hätte der Förster beinahe die Leuchte fallen lassen, und ein neuerlicher langer und prüfender Blick auf das vermeintliche Kind jagte ihm, dem sonst furcht¬ losen Manne, einen solchen Schreck ein, daß er sich versucht fühlte, eiligst davon und aus der Höhle zu laufen. Was der alte Förster sah, war auch seltsam genug und hätte wohl auch andere Sterbliche das Gruseln gelehrt, denn das schlafende Wesen, das etwa die Größe eines eineinhalb= bis zweijährigen Kindes hatte, erwies sich als Zwerglein mit langem, weißem Bart und Haar, welch letzteres in üppiger Fülle unter der schwarzen zipfeligen Mütze hervorquoll, und das Antlitz des Zwerges zeigte, daß er hoch an Jahren sein mußte. Das Zwerglein, das wie die Bergknappen bekleidet, nur daß dessen Kleidung gar so viel fein und säuberlich war, schlief und seine tiefen, regelmäßigen Atem¬ züge ließen den Förster erkennen, daß es, ungestört, sobald nicht erwachen werde.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2