403 Das Kreuz in der Nuß. Stadt Steyrer Volkssage von Heinrich Kematmüller. (Nachdruck verboten.) Wohl selten gab es in Mitteleuropa so in jeder Beziehung traurige Zeiten, als es die Jahre 1336 bis 1350 waren. Die Jahrbücher des Klosters Garsten berichten, daß 1336 ungeheure Heuschreckenschwärme Steyr und dessen Umgebung verheerten, und erst 1339 gelang es dem Zusammenwirken der Witterung und der eifrigsten Verfolgung dieser gefräßigen Insekten durch Menschen und Vogel, das Ungeziefer los zu werden. Mancherlei Krankheiten füllen die Zeit von 1339 bis 1347 aus, in welch letzterem Jahre ein so kalter Frühling war, daß Wein und Getreide verdarben. 1348 und 1349 gab es hier erschreckliche Erdbeben, die Schlösser und Ortschaften in Trümmerhaufen verwandelten, und zu allem Unglücke gesellte sich im Sommer 1349 noch die Gottesgeißel Pest, die in ganz Europa Millionen Opfer an Menschen kostete, und bald standen ganze Ortschaften leer. Dies hatte einen Mangel an Arbeitskräften zur Folge, und so stieg der Preis des Getreides so hoch, daß die gehetzten und geängstigten Menschen sich bald auch von einer Hungersnot bedroht sahen. Die Stimmung der glücklich mit Gottes Hilfe durch alle Gefahren gelangten Bewohner unserer heimatlichen Gaue war daher sehr gedrückt und mit geheimem Zagen schleppten sie ein Leben fort, das mehr den Qualen der Hölle glich als einem menschlichen Dasein. Gegen all diese Naturereignisse gab es kein Mittel, und die Gelehrten wußten ebensowenig eine Heilmethode gegen die Pest, als die Bauern sich der Heuschrecken zu erwehren wußten. Wie es aber in der menschlichen Natur begründet ist, so wollte jeder helfen, und guten Rat gab es in Menge, leider ohne gute Tat im Gefolge. Zu jener Zeit befanden sich da, wo heute der Ort Christkindl, bezw. Unter¬ himmel sich befindet, eine Anzahl Rohrhämmer und Schmieden, deren lustiges Klopfen und Hämmern wohl schon seit weit mehr als einem Jahrtausend die mit uraltem Laubholz bestandenen Abhänge der Hügel durchtönte. Die große Felsengruppe, welche den westlichen Abhang des Bergrückens in Christkindl bildet, bestand noch aus besser geschlossenen, ungeheuren Steinmassen, von denen sich weniger Gerölle als heute in der Tiefe befand, das Sturm, Regen¬ güsse und Erdbeben meist in jenen Jahren erst in der Tiefe ansammelte, nachdem der entfesselten Elemente Gewalt die wie für die Ewigkeit geschaffenen Felsen in Millionen Trümmer geschlagen hatte. Dort, wo heute die Wallfahrtskirche von Christkindl ebenso romantisch als lieb¬ lich und das Herz himmelanerhebend am Ende des Bergrückens auf der Spitze eines Felsens thront, stand 1339, fast im Walde begraben, ein Försterhaus und auf dem freistehenden Felsen, der sich über und zwischen den Felstrümmern, von der Kirche durch eine Schlucht getrennt, steil und fast senkrecht erhebt'), befand sich im Schatten von Fichten und Tannen eine hölzerne kleine Hütte, in welcher der Förster einen zu Jagdzwecken hielt. UhnDie Schlucht zwischen dem Ende des Bergrückens und diesem Felsen war dicht mit Bäumen und Schlingpflanzen bewachsen, die es bisher unmöglich gemacht hatten, in sie einzudringen. Der alte Vollbrecht, so hieß der Förster, war seit seiner Kindheit in der Gegend des heutigen Christkindl, kannte daher, wie er zu sagen pflegte, „jeden Winkel“ daselbst und doch gestand er sich selber, daß sich nach den Erdbeben am 25. Jänner 2. Februar 1349 die Gegend um sein Haus herum gar sehr und nicht zum und Vorteile ihres Eigentümers Herzog Albrecht lI.?) verändert hatte. Die Wege waren !) Das Gasthaus steht jetzt auf diesem Felsen. *) Albrecht II., Herzog von Oesterreich, der „Weise“ auch der „Lahme“ genannt, ein der Stadt Steyr besonders gnädiger Herr, geboren 1298, regierte vom 13. Jänner 1330 bis zu seinem Tode am 20. Juli 1358.
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