Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1932

390 Ein halbes Jahr schläft sie schon. Und unser Kind nahm sie mit in den Sarg. Alles¬ tot.“ isr tot Einrscmh i ür t —tert umgriff sie seine Hände. „Oh — das ahnte ich nicht! Aermster, Aermster! Armer Georg.“ geisterte um die zwei Menschen. Er starrte in das Brütendes Schweigen und dachte, wie sehr doch sein Herz der unruhig zuckende Licht in der Ecke flackernden Flamme gliche. Aus rätseldunklen Augen sah das Leid seines Lebens ihn an. Einsamer war er geworden als je zuvor. Er gehörte zu den Menschen, die ihren Toten treu bleiben. Denen der Verlust eines geliebten Wesens wie ein Riß durchs Leben geht. Und plötzlich empfand Dr. Terheggen es qualvoll, daß er so bitterallein stand. Ein wehes Lächeln zerrte seine Lippen, als er sich gestehen mußte, daß es eigentlich keinen einzigen Menschen in der Welt gab, den sein Kommen oder Gehen tiefer berührte. Er hielt Umschau unter seinen Freunden. Und je weiter er kam, desto mehr eine Stirn. Er hatte viele Freunde, wenn man den Begriff Freund nicht sank hoch wertet. Denn er war beliebt bei allen, mit denen er in Berührung kam. allzu Er besaß jene angeborene Güte im Verkehr, die unfehlbar die Herzen gewinnt. O aber keinen „Freund“. Vielleicht war er zu hatte viele „gute Freunde“ ja, er wenig Alltagsnatur. Die älteren Kollegen schätzten ihn: seinen Rat, sein Wissen doch sonst verzichteten sie gern auf seine Gesellschaft, die ihnen manchmal unbequem. war. Denn er liebte es nicht sonderlich, zu politisieren, er lehnte das Skatspiel ab. Sie nannten ihn einen Idealisten mit „philanthropischen Verstiegenheiten“. Und die Jüngeren? Nun, die waren eben jung und hatten mit sich selbst zu tun. Sie machten ihn zum Vertrauten ihrer kleinen und großen Anliegen. Doktor Terheggen hatte etwas in seinem Wesen, das rückhaltloses Vertrauen einflößte. Er verstand die Kunst, gut zuzuhören — nicht mit gelangweilter Geduld, sondern mit teilnehmendem Interesse, das dem andern sagte: für den Augenblick ist nichts auf der Welt mir wichtiger als dein Anliegen. Das alles konnte Georg Terheggen, weil ein herztiefes Glück ihn bis in alle Gründe ausfüllte. Als aber das Licht erlosch, da taumelte er durch Dunkelheiten und Kälte und fand keinen Weg mehr. Fühlte sich erfrieren in Gleichgültigkeit und Leere. Und nun saß neben ihm die mütterliche Frau, rührte mit behutsamen Händen an seine Wunden. Leise begann er zu sprechen, erst noch stockend, tastend nach Ausdrücken. Dann quellender, als müsse die Last herausgeschleudert werden. Zuletzt breitete er allen Jammer vor ihr aus. „Armes Kind,“ murmelte sie, streichelte seine Hand. „Ich möchte Sie trösten wie — Kommen Sie, Georg,“ sie zog ihn einige eine Mutter, Ihnen tragen helfen! Schritte mit sich fort, an Denksteinen und Grabplatten vorbei, bis zu einer marmornen trauernden Frauengestalt, die zwischen zwei Pfeilern an der Wand ragte, Zu ihren Füßen war in den Boden eine schwarze Grabplatte eingelassen. Die gemeißelte Inschrift war beinahe ausgetreten. Nur hier und da standen noch einzelne Buchstaben und Silben; neben dem Namen war noch das Wort „illustrissime“ oder „illustrissima“ erkennbar. Am oberen Rande der Platte aber waren noch deutlich die Worte „in pace“ ausgeprägt. „Georg Terheggen,“ sagte Frau Elsenhoff leise und ließ seine zuckende Hand nicht los: „Georg Terheggen, ich weiß nicht, wer hierunter schlummert: ob ein Fürst oder Ritter, ein gelehrter Mönch oder eine fromme gebietende Aebtissin. Vielleicht war das Menschenherz, das man hier begrub, ein ebenso leidenschaftliches, ge¬ quältes wie das Ihrige! Vielleicht hat es in vergeblichem Ringen sich verzehrt ... bis es den Frieden im Tode fand. Vielleicht ist es von übermächtigem Schicksal zer¬ mußte entsagen. Doch nun ruht es in Frieden. — mürbt, zertreten worden In pace! Weiß nichts mehr von Erdenschmerz. Nur noch von dem Gott, der alle Tränen abwischt von den Augen. Lieber junger Freund, das Leid ist ein harter Hammer. An kalten Herzen kann es nichts modeln; aber den heißen, den liebevollen soll es mit wuchtigen Schlägen die gottgewollte Form geben! Und zu neuer Lebens¬

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