Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1932

389 Er tauchte in Sinnen. Alles stand wieder auf. Armer Peter Elsenhoff! Er sah den Freund noch vor sich in seiner sieghaften, charaktervollen Schönheit. Die sonnigen Augen, die doch einen so tiefen Lebensernst in sich hüteten, mit dem bezwingenden Ausdruck von Herzensgüte. Hinter dieser edelgemeißelten Stirn konnte kein niedriger Gedanke sich einnisten. Dieser feine und doch so willensstarke Mund sprach kein verletzendes Wort! * * * Ja, Peter Elsenhoff, du warst einer der seltenen Menschen, die ganz wahrhaftig sind, ganz gütig und voll tiefer Lebenstreue! Du wärst für keinen eine Enttäuschung geworden. Warum hast du so früh von uns gehen müssen, armer Freund? Georg Terheggen hatte mehrere Semester mit ihm an der gleichen Universität studiert. Elsenhoff, der anfangs die Theologie erwählte, entschloß sich erst spät nach langem inneren Ringen, Arzt zu werden. Terheggen war der Vertraute seiner Seelenkämpfe zur Zeit dieses Berufswechsels gewesen. Und später der Vertraute seiner Liebe . . . Dr. Elsenhoff hatte sich verlobt und war auf ein Jahr nach Berlin gegangen, um unter einem berühmten Professor noch ein Fachstudium zu betreiben. Dann wollte er sich in irgend einer größeren Stadt niederlassen und die geliebte Braut heimführen. Und dort in Berlin wartete ein tragisches Schicksal auf ihn: bei einem Spazier¬ ritt durch den Tiergarten scheute sein Pferd —er stürzte. Mit voller Wucht schlug er gegen einen Prellstein und blieb liegen mit zerschmettertem Schädel. Noch am gleichen Tage starb er, ohne die Besinnung wiedererlangt zu haben, ohne die telephonisch herbeigerufenen Angehörigen zu erkennen, ohne ein letztes Wort, einen Blick. Erschüttert war damals Georg Terheggen herbeigeeilt, zur letzten Reise zum Einbetten des Freundes in die Heimaterde. Allgemein wurde die Familie des jungen Arztes bedauert; die größte Teilnahme aber galt der verzweifelnden Braut, die in fast irrem Schmerz sich mit gekrampften Nägeln an den Sarg klammerte. Die Braut—die schmale feinnervige Ilse Wölflin! ... Georg Terheggen hatte es nicht glauben wollen, als er lange nachher durch einen Zufall erfuhr, daß die schöne zarteIlse nach zwei Jahren „einen andern genommen“ hatte . .. Und doch, als er jetzt die Frau an seiner Seite ansah, die mit weiten Augen ins Leere blickte, da mußte er an ein altes litauisches Volkslied denken, das sagte — ach, und es hatte Recht: Die Braut betrauerte ihn drei Wochen lang, Die Schwester drei Jahre. Doch ach, die Mutter, die Hochehrwürdige: So lang ihr Haupt am Leben war. Damals beim Begräbnis waren alle erschüttert gewesen, daß das dunkle Haar der noch jugendschönen Frau Elsenhoff in den drei Tagen grau geworden war! Jetzt liefen schneeweiße Scheitel neben den Kreppstreifen her. Der junge Mann nahm ergriffen Frau Elsenhoffs Hand und führte sie an seine Lippen. „Mutter meines Freundes, flüsterte er. Sie lächelte mit bebendem Mund. „Still, junger Freund. Millionen Mütter tragendas Gleiche. Aber freilich — jeder Mutter ist eben ihr Sohn der einzige, der geliebteste . . . Doch nun sprechen Sie von sich, lieber Terheggen. Jetzt, wo ich Ihr —— Gesicht durchforsche es war ja immer ein Grüblergesicht, aber es scheint mir jetzt doch seltsam verändert. Hat Ihnen das Leben Lasten aufgebürdet? Er antwortete nicht gleich. Die bittere Linie um seinen Mund, die sie erst jetzt wahrnahm, prägte sich schärfer aus. In den Winkeln des Kreuzganges ballte sich frühe Dämmerung. Aber von der Franziskusgruppe her schmetterte noch eine Drossel ihre Liedstrophen in den sinken¬ den Abend. Aus der Kirche kam der Küster und zündete an zwei gegenüberliegenden Ecken des Kreuzganges altertümliche, butzengefaßte Laternen an, die von der Decke niederschwankten. Da kamen wie dumpffallende Tropfen die Worte: „Auch mir ward das Liebste genommen: meines Hauses und meines Herzens Licht —mein junges Weib ...

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