Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1932

388 Gerade vor diesem Gittertürchen begegneten sie sich. — — Stutzen. Betroffenes Staunen. „Gnädige Frau nein, ich irre nicht .. Siesind es! Hier? In dieser Stadt?“ Die weißhaarige Dame sah forschend den ihr fremden Herrn an, mit dem peinlich verlegenen Blick der Kurzsichtigen. „Ich wüßte nicht . . . Sie müssen schon meinem Gedächtnis zu Hilfe kommen. meinHerr4 „So sehr habe ich mich verändert, gnädige Frau? Und war doch vor Jahren so oft in Ihrem schönen niederrheinischen Heim zu Gast, als . . . als Peter noch ... Er stockte. Daran hätte er nicht rühren sollen — an diese Wunde eines Mutter¬ herzens! Er mußte doch noch wissen, wie furchtbar diese Mutter unter dem tragischen Tod des Sohnes gelitten hatte. Ein blasser Schein glitt über ihre stillen Züge — ein Zucken. Dann streckte sie ihn erkennend beide Hände hin. „Doktor Terheggen! Peters Freund. .. Meine Augen sind schwach geworden. Ja, nun erkenne ich Sie, Georg Terheggen! Die Welt ist klein. Aber ich begreife 77 nicht * * * „Ich bin hier am Gymnasium angestellt. Schon einige Jahre. Doch Sie, gnädige Frau?“ „Ich wohne seit dem Tode meines Mannes hier bei meiner Aeltesten. Sie wissen doch —die Helma, die den Ingenieur Remmers heiratete? Er ist damals — nein: er war! Auch sie ist schon Witwe.“ hier am Kabelwerk — „Ernst Remmers — hierher versetzt? Und . .. schon tot? Mein Gott! — —.So darf ich Sie und Nein das wußte ich nicht. Ich bin ein Einsiedler, seit Frau Helma besuchen? . .. Ich begleite Sie jetzt ein Stück; gestatten Sie?“ „O, ich wollte nicht weit — nur hier hinein,“ zögerte sie. „Dieser schmale Weg führt zu einem Kreuzgang, den die Kirche begrenzt. Es sitzt sich dort so gut. Er ist so voll Frieden . . . ein Stück Mittelalter. Er trat an ihre linke Seite; sie schritten hindurch und öffneten die Pforte zu dem Kreuzgang, der ebenso wie die anstoßende Kirche zu einem ehemaligen Kloster gehörte. Rechts lag der Eingang zur Kirche. Um die schlanken Säulen mit den schon zerbröckelnden Kapitälen rankten Heckenrosen und blütenüberschüttete Glyzinien. Wilder Wein kletterte zu den hohen Bogen empor. Die Säulengänge umschlossen im Viereck eine Rasenfläche, in deren Mitte von einem künstlich erbauten, mit Ulmen umstandenen Felsen Wasser in ein Becken herabrieselte. Zu Füßen des Felsens zog eine wunderliebliche Sandstein¬ gruppe die Augen auf sich: der heilige Franziskus bei den Tieren sitzend, die sich an seine Knie schmiegten. Ehemals mochten fromme Mönche durch den Kreuzgang gewandelt sein; jetzt träumte er nur noch in Erinnerungen. Zuweilen nur, wenn in der Kirche Beicht gehört wurde, schritt wohl in den Zwischenpausen ein Geistlicher Brevier betend über die Steinfliesen. Es war ein Ort voll versunkener Ruhe. In gedämpften Lauten nur drang das Straßenleben bis hierher. Wohl wenig ahnten, daß so nahe dem Großstadtverkehr ein solcher Winkel des Friedens sich barg. Die alte Dame zitterte merklich. Das Wiedersehen mit dem Jugendfreund des Sohnes hatte entschlafene Schmerzen geweckt. Er bot ihr ehrerbietig den Arm und führte sie zu einer Bank. Einen Augenblick deckte Frau Elsenhoff die Hand über die Augen — dann wandte sie ihm ein weißes Gesicht zu und fragte mütterlich: „Erzählen Sie mir, junger Freund: wie war Ihr Leben seither? Ich weiß nichts von Ihnen. Wir haben Sieja ganz aus den Augen verloren.“ „Ja,“ nickte er. „Ich mochte damals, als wir ihn in die Erde . .. betteten nicht mehr kommen — aus Schonung ... Es hätte ja immer alles neu aufgerissen.“ Als Dr. Terheggen dies gesagt hatte und die Mutter anschaute, wußte er, daß sein Fernbleiben überflüssig gewesen war: daß diese Frau noch heute um den Sohn trauerte. Sie war eben die Mutter — das sagte alles!

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