Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1932

386 tiefeingewurzelte Heidentum hatte noch immer viele Anhänger, die um so be¬ Nach geisterter zu den alten Göttern kamen und ihnen ihre Opfer darbrachten. dieser Art war auch der Müller. Es fiel ihm schon seit einiger Zeit auf, daß seine Tochter nicht mehr ganz so war wie früher. Sie ging öfter fort, wurde immer stiller und es schien ihm, als ob sie auch scheuer, unsicherer in seine Augen sah, wenn er mit ihr sprach. Als er sie eines Tages, da sie gerade wieder nach Hause kam, fragte, wo sie gewesen sei, gestand sie ihm zögernd, daß sie Unterricht in der neuen Lehre bei den Christen nähme. Der Müller aber, der davon nichts wissen wollte, drohte ihr schwere Strafe an, wenn sie nicht vom Christengotte ließe. Das Mädchen zog ich zurück und stahl sich von nun an noch vorsichtiger aus dem Haus, wenn es zu den Christen ging, um den Vater, an dem es so sehr hing, nicht zu erzürnen. Es vergingen Tage und Wochen. Der Müller glaubte, seine Tochter habe sich die Drohung zu Herzen genommen und von der neuen Lehre gelassen. Doch eines Tages wurde er eines anderen belehrt. Es war ihm zugetragen worden, seine Tochter habe sich taufen lassen und wäre somit eine Christin geworden. Das traf den Alten wie ein Gewitterschlag. Seine einzige Tochter von den Göttern abgefallen! Das konnte nicht sein. Er rief sie zu sich und mußte aus dem Munde seines Kindes dasselbe hören, was ihm fremde Leute bereits gesagt hatten. Sie war eine Christin! Das durfte nicht sein. Er befahl ihr, den Göttern zu opfern. Doch sie lehnte ab. Da er¬ griff den Vater maßlose Scham über sein Kind und er wollte es lieber tot sehen als abtrünnig. Als er eine Axt, die in der Nähe lag, ergriff, das Mädchen zu töten, lief dieses aus dem Haus, der Stadt zu. Er folgte der Tochter im wilden Laufe. Eine furchtbare Hetzjagd begann. Gleich einem von Hunden gehetzten Wilde flog das junge Mädchen durch die Straßen. Der Vater in wahnsinnigem Hasse hinter¬ her. Vorübergehende heidnische Soldaten lachten über diese seltsame Jagd und warfen den Vorübereilenden Koseworte zu, die wie Hohn und Spott klangen. Der Schweiß stand in hellen Perlen auf der Stirn des Mädchens und der junge Körper zitterte in Todesangst. Das reiche Kopfhaar hatte sich gelöst und wehte in dunklen Fahnen im Winde. Zwei Augen irrten hilfesuchend in die Ferne, der Stadt zu, aber umsonst. Die Kräfte des Mädchens waren erschöpft und es brach auf der steinigen Straße zusammen. In wenigen Schritten hatte es der Verfolger erreicht. Nun stand er vor seinem Kinde. Aber nicht mehr ein Vater, sondern ein rächender Heidengott, der keine Vergebung kannte. Er riß sie an den Haaren hoch, schwang seine Axt und erschlug sie, der Vater seine Tochter. Dann brach auch er zusammen. Zur Sühne für diesen Mord hat das Volk an der Stelle, an der die Tat ge¬ schehen war, eine Kapelle errichtet, von der uns nichts mehr geblieben ist als diese Sage. Von der Michaeler-Kirche in Steyr. Die Michaeler=Kirche (Vorstadtpfarre) ist vom Teufel erbaut worden. Als er langer, mühsamer Arbeit mit dem Bau fertig war, ist er mit lautem Krach und nach fürchterlichem Gebrüll durch ein Loch hinter dem Altar aus dem Gotteshaus in mit die Lüfte entwichen. Selbiges Loch war noch vor Jahrzehnten zu sehen. Eine andere Sage: Vor vielen hundert Jahren war es, als der Teufel noch in der Nähe von Steyr seine „Dörrstätte“ hatte, wo er gern in mondhellen Nächten sein erbeutetes Geld „dörrte“. Er trieb schon seit langer Zeit sein Unwesen, aber niemand konnte ihn ver¬ treiben. Da erfuhr ein alter, frommer Priester von dem Treiben des bösen Feindes und er beschloß, ihn aufzusuchen und zu vertreiben. An einem Sommerabend ver¬ ließ er die Stadt und harrte vor einem großen Walde, der als der Aufenthaltsort des Satans bekannt war, auf die Nacht. Als es tief dunkel wurde und der Mond langsam über den Bergen heraufstieg, betrat der Priester den Wald. Er wanderte tief hinein, aber er konnte nichts gewahren. Schon dachte er, vergebens umkehren zu müssen, als sich der Wald lichtete und sich vor ihm eine große, mondbeschienene Wiese ausbreitete. Er trat aus dem Wald und sah in der Mitte der Wiese den Teufel sitzen, wie er gerade einen ungeheuren Haufen blinkender Goldstücke „dörrte“. Der Gottesmann sprach eine Beschwörungsformel und trat auf den

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