Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1932

385 Steyrer Sagen. Von Linus Kefer. Die Gründungssage. Vor mehr als tausend Jahren. Zwei Bergflüsse, die dunkelgrüne Enns und die hellere Steyr, brausten ihre schäumenden Wasser in der ganzen uneingedämmten Kraft ihrer Wildheit ineinander. Hoch schlugen die Fluten an mächtigen Felsen empor und brachen sich in weißer, zischender Gischt. Das Brausen und Tosen der sich vereinigenden Flüsse verrauschte erst tief in den Wäldern, die ihre Ufer um¬ säumten. Eine große, fast unbewohnte Wildnis dehnte sich stundenweit aus. Bären und Wölfe und viel anderes Raubgetier barg sich in den großen Wäldern. Die Wildkatze schwang sich von Ast zu Ast und der Luchs lauerte über dem Wechsel der Rehe auf sein Opfer. Tief in die Stille dröhnte das Röhren der Hirsche und der Schrei der Raubvögel, die hoch über den Wäldern kreisten, klang weit durch die Wildnis und ließ das Getier erschrecken. Und in die Stille der Nächte schauerte der Ruf des Uhus. Selten nur betrat eines Menschen Fuß diese Wildnis, es war denn ein Jäger oder Fischer, deren niedere Hütten, unter den Baumriesen hingeduckt, da und dort weit verstreut lagen. Eines Tages, der Himmel war duftig blau und die Sonne schien warm her¬ nieder, da sprengten auf schnaubenden Rossen zwei Ritter auf die Waldlichtung der Anhöhe, von der sie einen herrlichen Blick in die Tiefe, auf den Zusammenfluß der beidenWasser hatten, und hielten knapp vor dem Hang ihre Pferde an und staunten in dasprachtvolle Landschaftsbild hinaus. Die Wälder sangen geheime Weisen und unten brausten und orgelten die Bergwässer ungestüme, wildgewaltige Musik. Lange verharrten die beiden schweigend auf ihren Rossen, versunken in die Schön¬ dieser sonnigen Wildnis heit * * * Da rief der eine aus: „Hier wollen wir uns eine feste Burg bauen . . .“ Und der andere darauf: „. . . und immer hier bleiben!“ Dann sahen sie sich um, eine Stelle zu erspähen, die am besten geeignet sei, ihre künftige stolze Burg zu tragen. Der eine meinte, der Ort, wo sie stünden, sei dazu am günstigsten, während der andere Ritter den gewaltigen Felsen, der drüber dem Wasser steil zwischen den beiden ineinander brausenden Flüssen aufragte, als den besten Bauplatz vorschlug. So gut sie sonst einander verstanden und sich zugetan waren, diesmal waren ihre Meinungen zu verschieden, als daß sie sich einigen konnten. Lange stritten sie mit Worten, aber es führte zu keinem Ende. So mußte nach altem ritterlichen Brauch und deutscher Sitte der Zweikampf den Entscheid herbeiführen. Lange und hartnäckig standen sich die beiden Kämpfer gegenüber und fast schien es, als ob keiner unterliegen würde, da gelang es dem einen, seinen Gegner aus dem Sattel zu schleudern und nun wurde die Burg nach dem Willen des Siegers auf jenem Felsen nächst den tosenden Wassern erbaut. Allmählich siedelten um die „Styraburg“, so geheißen, weil sie an der Steyr stand, allerlei Leute, um unter dem Schutz der Burgherren friedlich schaffen zu können. Im Laufe der Zeit entwickelte sich aus der Siedlung die Stadt Steyr, so geheißen nach der Styraburg. Die Styraburg ist heute das stattliche Schloß Lamberg und dort, wo sie der andere Ritter erbauen wollte, grüßt heute der Tabor freundlich in die alte Stadt herab. Die Kapelle in der Blumauergasse. Nahe dem Südeingang zur Burg Steyr, wenn man von der Promenade zum Burggraben geht, sieht man am Anfang der Blumauergasse eine Kapelle, die an Stelle einer uralten, längst verfallenen hier errichtet ist, von der die Sage zu er¬ zählen weiß: Lebte einst an der Steyr unten ein heidnischer Müller, der eine wunderschöne Tochter hatte. Schon lange zogen fromme Mönche durch das Land, aber das alte, 25

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