Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1932

379 Kaum war die erste Schulstunde unter geheimnisvollen Weltuntergangs¬ androhungen seitens des Herrn Lehrers vergangen, da öffnete sich die Tür und her¬ ein trat in mächtiger Größe und respektgebietender Breite der Stadtgewaltige, der Herr Bürgermeister und Ortsschulinspektor. Unheil dräuten seine Augen, der Husarenschnurrbart zitterte, die Sünder wurden vorgerufen. —Da war ich doch froh, daß ausnahmsweise nicht auch mein Name genannt wurde. Ja, bisweilen ist Bescheidenheit eine angenehme Tugend . . . Nach dem Verhör und vergeblichen Verdunkelungs= sowie Abwehrversuchen der Bemitleidenswerten ließ derGe¬ waltige, der auch ein überaus redegewandter Advokat war, eine Strafpredigt von Stapel, die sich gewaschen hatte, worauf die armen Hascherln, die zitternd vor den Bänken standen, gewaschen wurden, aber nicht mit Wasser und Milch, sondern mit dem gefürchteten, silberknopfgezierten Bambusstock des Herrn Bürgermeisters. Die Sitzplätze der Delinquenten wurden in den nächsten Tagen bedeutend weniger ab¬ gewetzt als sonst. Dann aber begann der bürgermeisterliche Inspektor im Verein mit dem Herrn Lehrer ein Generalexamen unserer Kenntnisse und Nichtkenntnisse. In diesem Kreuz¬ feuer verzwickter Fragen versagten auch die Guten, selbst des Bürgermeisters Söhnchen, sonst ein Musterschüler, gickste und gackste, bis er eine väterliche Ohr¬ feige faßte. Nur ich war mit unheimlicher Ruhe, Geistesgegenwart und einer mich selbst verblüffenden Sachkenntnis gesegnet, welchen Komplex von seelischen Zu¬ ständen ich später als Student mit dem lieblichen Namen „Sau“ bezeichnen lernte. Der Zorn des Gestrengen legte sich und seine grundgütige Natur konnte sich in einem Lobe meiner Kleinigkeit zeigen, wie mir selten eines zuteil geworden. Und da durchzuckte es mein Hirn: Der oder keiner! — Als nachmittags die Schule aus war, eilte ich samt dem Schulranzen auf dem kürzesten Wege zum Hause des Herrn Bürgermeisters. Mittags hatte ich daheim natürlich kein Sterbenswörtchen von meinem Plane verlauten lassen, denn ich wußte ja, daß es da einmal ein starres Nein gegeben hätte. Als ich an die Kanzleitüre klopfte, klopfte auch mein Herz stärker; und als in derersten Stube der bärbeißige Schreiber mich anknurrte, was ich wolle, da mußte ich schon alle Kraft zusammennehmen, um herauszustammeln: „Mit'n Herrn Bürgermeister möcht' i redn!" „Was willst von ihm?“ knurrte der Schreiber, der überhaupt nicht zu meinen besonderen Freunden zählte. Da ich aber, wie ich später aus Caesars „Bellum civile“ erfuhr, den Rubikon bereits überschritten hatte, kam auch der Mut wieder zurück. „Das muaß i ön Herrn Buargämoastä selm sagn!“ er¬ widerte ich fest. Der Brummbär brummte noch etwas in seinen grauen struppigen Bart und ging ins „Allerheiligste“ hinein. Bald kam er wieder, deutete mit dem Daumen gegen die offene Tür, durch die ich rasch hineinschlüpfte. Und nun stand ich vor dem Gefürchteten. „Was willst?“ fragte er kurz und sahmich scharf prüfend an. Da tanzte der Schreibtisch samt den Büchern und Akten unddem Bürgermeister vor meinen Augen.—Hansl, nur jetzt net feig sein! .. Undschon sprudelte ich heraus: „Ich möcht' schön bittn, ob Herr Bürgermeister net mein Göd sein möchtn. So, jetzt war's heraußen. Einige Sekunden war's still. „Wer hat dich grad zu mir g’schickt? Dein Muattä?“ —„Nä, neamd! Selm bin i 7 kemmä .. „Und warum grad zu mir?“ fragte er erstaunt. „Weil S' mih heunt vormittag g'lobt habn. Da lachte der also Aufgeklärte hell auf. „Also deswegen! Da werde ich mich in Hinkunft hüten müssen, einen von euch zu loben. — Aber 's ist recht, ich führ' dich schon zur Firmung. — Nun, wo willst g'firmt werden, in Linz oder in Salzburg? — — Ohne Zaudern platzte ich heraus: „In Salzburg! „Ja, warum grad in Salzburg?“ suchte mich mein nunmehriger Göd“ um die Fichte zu führen. Gelang ihm jedoch nicht. „Weil Salzburg die drittschönste Stadt der Welt is, wie der gelehrte Humboldt g'sagt hat, der in da ganzn Welt umäkemma is. Das hat uns dä Herr Lehrä g’sagt,“ war meine stolze Antwort, gegen die es kein Dawiderreden gab. Ich

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