Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1932

378 zu meiner seligen Lausbubenzeit zumeist in ein „leidendes Verhältnis“ aus, wobei das arme Gödnkind, bezw. dessen Schnittlauchlocken, Kopfhenkel (auch Ohren ge¬ nannt) und Sitzgelegenheit das Objekt waren. In meinem Falle gab es halt auch solche unangenehme Antezedenzien. Der ehr¬ same Schustermeister war ein vorzüglicher Fachmann für die Leiden der unteren Extremitäten, aber an die Behandlung des menschlichen Körpers, besonders des einen „guten Jungen“, wie ich einer war, vom Knie aufwärts hätte er sich lieber nicht machen sollen, wenn er zu dem besagten Jungen in eine geistliche Verwandtschaft Er besaß ein Gärtchen, dessen Prunkstück ein treten wollte. Und er tat es doch! ... Baum war, der außerordentlich große und süße Pflaumen trug. Da hatte ich im Herbst vorher einmal ausprobieren wollen, ob die Früchte schon reif und daher weich wären, und unglückseligerweise besaßen einige Pflaumen so schwache Stingel, daß mir unversehens einige Früchte in der Hand liegen blieben. Des Schicksals Tucke fügte es, daß der Meister in ermattendem Arbeitseifer vom Stiefel die Augen weg zum Fenster hinauswandern ließ, und gleich darauf war er im Garten, den er mit seinen langen, dürren Beinen unheimlich rasch durchschritt, ja, der Dichter hat recht: Das Unglück schreitet schnell. Ich kam zu spät zum rettenden und doch wäre der strategische Rückzug noch gelungen, wenn nicht ein vor¬ Zaun — stehender Nagel meine Hose festgehalten und mich so den Klauen des uneinsichtigen Meisters überliefert hätte. Er löste mich von dem verflixten Nagel los, der aber jene Sympathie für mich, die der Meister in zu geringem Maße besaß, allzustark an den Tag legte — auf Kosten meiner Hosen natürlich. Was nun folgte, erlasse mir, lieber Ich schwebte bange Augenblicke in Knieriems einer Leser, näher zu schildern ... Hand zwischen den lachenden Himmelswolken und der menschennährenden Erde und spürte alle Qual eines kräftiger Henkersfaust preisgegebenen Menschenkindes. Meine struppige Mähne war etwas dünner geworden — ja, um Dichterlocken geht und noch struppiger als zuvor, als ich, über die das Geraufe schon frühzeitig an! — Lieblosigkeit meines Zeitgenossen heulend, den Garten Eden verließ, gefolgt von einer Redeflut, die dem homerischen Schimpfbold Thersites alle Ehre gemacht hätte. Daß ich unter der seelischen Nachwirkung solch handgreiflicher Zärtlichkeiten mit dem feinen Ahnungsvermögen eines ausgemachten Lausbuben den Gedanken, daß dieser Mensch mein „Göd“ werden soll, entrüstet von mir wies, ist doch sonnen¬ —Aber nun trat die zwingende klar. Was würde der sich dann erst erlauben! Notwendigkeit an mich heran, das Unheil abzuwenden. Ich hatte selbstverständlich schon alle die ehrenwerten Männer meines Heimatstädtchens im Geiste assentiert, aber solange die Not noch nicht drängte, war ich zu keinem Entschlusse gekommen. Zunächst machte ich nach der Schule meinem Mütterlein einmal „offiziell“ Mit¬ teilung von den Weisungen des Herrn Katecheten. Ich tat es mit einer scheinbaren Ruhe, als handelte es sich um die nebensächlichste Sache, und Mütterlein meinte. „Da gehen wir am Sonntag zum Zauner=Schuster, mußt halt schön artig bitten, und er wird es nicht abschlagen.“ — So ein Mütterlein versteht alles, aber in einen solchen Falle versagt selbst der feinste mütterliche Instinkt. — Ich sagte darauf nicht Mu und nicht Mau, sondern trachtete, möglichst rasch das Freie zu gewinnen. Im Bette dachte ich fieberhaft nach; der nächste Tag mußte unbedingt die Ent¬ scheidung bringen. Ach, was so ein Bubenköpfl doch für Sorgen hat! Gegen die meisten der lobesamen männlichen Bewohner des Städtchens im patenfähigen Alter lag etwas vor. Das pflegt freilich meist auf Gegenseitigkeit zu beruhen, ändert aber an der Tragik nichts. Der Morgen war gekommen, doch nicht einmal im Schlafe hatte ich eine an¬ —Da kam, wie so oft im Leben, der Zufall, ein be¬ nehmbare Lösung gefunden. wundernswert glücklicher Zufall dem zappelnden Bubenhirn zu Hilfe. Einige in der Klasse hatten wieder einmal einen Streich ausgeführt, der alle alten Weiber des Städtchens mit Entsetzen über die Rangen erfüllt, die nirgends so arg seien wie eben in V. Ich hatte es schon lebhaft bedauert, daß ich bei jenem „Heldenstückl“ nicht dabei hatte sein können; aber diesmal hatte selbst die alte Huterin, die mein lebendiger Beichtspiegel hätte sein können, meine blühweise Unschuld nicht in Zweifel ziehen.

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