Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1932

371 Ein abergläubisches Grauen kroch an ihm empor. Wenn es . .. Scheu sah er auf die Ohnmächtige. Er schüttelte sich. Unsinn! Weibergeschwätz! Aber er wurde eine unbehagliche Empfindung nicht los. Hastig legte er seine Frau auf das Sopha, rief die Mägde und ging davon. — — Aber war es Scheu vor den Arbeitern oder eine gewisse geheime Furcht, überdie er sich keine Rechenschaft geben konnte: genug, das Kreuz behielt seinen Platz. * Auf dem Kreuzhof — der Stuhlfabrik des Herrn Ferdinand Grody — fauchten die Maschinen, klopften, kreischten, hämmerten, schwirrten und summten die Werk¬ zeuge. Und wenn mittags und abends die Fabrikglocke tönte, ergoß sich ein Schwarm vonMenschen auf den Weg, der zum Dorfe führte. Fremde Arbeiter waren dabei, die Wallonen: wilde, heißblütige Gesellen, die es nicht eilig genug zum Wirtshaus hatten, gern Raufhändel anfingen und an Lohntagen alles vertranken. Dann hiesige Leute, junge Burschen und ältere Männer, # sogar Mädchen zum Polieren der Stühle. Grody hatte es klug berechnet, den Betrieb zu Anfang des Winters zu eröffnen. Da fand manch armer Schlucker draußen keine Arbeit mehr. Das bare Geld zog an man konnte es doch mal mit der Fabrik versuchen! Es war immerhin besser, unter geschütztem Dach angenehme Arbeit zu tun, als in Schnee und Eis im Walde Holz zu schlagen! Die leichteren Elemente kamen schon gleich im Anfang. Die Freiheit lockte sie. Man arbeitete seine Stunden, bekam jeden Lohntag sein schönes Geld — und keiner hatte einem dreinzureden! Nein, keine zehn Pferde brachten sie mehr zu den Bauern. Und viele Bedächtige folgten. Wer ein Häuflein Kinder hatte, konnte den hohen Lohn gut gebrauchen. Das brachte mehr ein wie taglöhnern. Daß zuletzt auch viele Mädchen kamen, hatte man wohl nicht erwartet. Aber es war so verlockend. Interessanter als Stallarbeit! Und . .. der Fabrikherr hatte jedem Mädchen ein Fahrrad zur Verfügung gestellt, das ihnen vom Lohn raten¬ weise abgezogen wurde, so daß sie es nicht spürten. Das gab den Ausschlag! Bloß ein Uebelstand war dabei: die braune und gelbe Polierbeize war von den Händen und Armen nicht zu vertilgen! Nun, das mußte man mit in Kauf nehmen! Sonntags trug man ja Handschuhe. War nicht so arg. Sogar die Kinder hatten teil am „Segen“. Sie konnten zu Hause Stuhlmatten und Rohrsitze flechten. Manches Stündchen half auch die Mutter daran. Und die fleißigen Buben und Mädeln verdienten sich ein hübsches Stückchen Geld. Ja, die Fabrik schien wirklich ein Glück für die Gemeinde — wenn auch Pfarrer und Ortsvorsteher und Lehrer, sogar viele Bürger und Bauern — dagegen waren. Freilich, es herrschte ein freier Ton darin, das ließ sich nicht leugnen. Reden wurden geführt, die waren schon nicht mehr schön. Richtige Umstürzler schienen die Fremden zu sein, die von Gott und Obrigkeit nichts wissen wollten und leichtsinnig in den blauen Tag hineinlebten. Und das Beispiel steckte an. Man spürte es schon in der Gemeinde. Die Kirche war leer und die Wirtshäuser waren voll, zur Bekümmernis des Pfarrers. In viele Familien kam Zwietracht. Ja, hm, der Seelsorger hatte schließlich doch recht: Der Geist des Widerspruches, der Unzufriedenheit, der Begehrlichkeit war eingezogen. Während in der Fabrik das Hasten und geräuschvolle Treiben der Arbeit alles Interesse in Anspruch nahm, hatte keiner acht darauf, daß droben im Hause die einsame Frau des Fabrikherrn immer stiller und bleicher wurde .. Eines Tages fand man sie tot im Sessel — nachdem sie noch eine Stunde vorher die Magd in den Pfarrhof geschickt hatte, um Seelenmessen für die verstorbenen Eltern zu bestellen. Ein Herzschlag hatte ihren Lebensfaden jäh abgerissen ... Nun wurden diese ihre eigenen Totenmessen! Ihr Mann faßte sich nach anfänglichem Erschrecken schnell. Sein kaltes, selbst¬ süchtiges Herz wußte nichts von Reue. Sein Weib war ihm fremd und gleichgültig geworden — ein lebendiger Vorwurf. Nun war die lästige Fessel gefallen.

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