Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1932

369 Er versuchte ein Hohnlachen, aber es blieb ihm in der Kehle stecken. Einen scheuen Blick warf er auf das Kreuz, dann stolperte er schwerfällig dem Hofe zu. „Gezeichnet . . .,“ höhnte es in ihm. „Gezeichnet!“ * * * Es war längst Frühling geworden, ehe Christine sich soweit erholte, daß sie einen längeren Gang wagen konnte. Ihr erster Gang war zum Friedhof des Dorfes, wo Eltern und Kind einge¬ bettet lagen. Dorthin rief es sie mit liebvertrauten Stimmen. Dort war ein letztes Stückchen Heimat. Ihr war, als müsse es ihr dort leichter werden ... In wehen Gedanken verloren, schritt sie dahin. Auf der Mitte des Weges begegnete ihr Gerd Haselkamp. Mit stummem Gruß wollte er vorübergehen, besann sich aber und trat zögernd zu ihr. „Ich wollt Euch bloß sagen, Kreuzhofbäuerin,“ begann er stockend ... da erst sah Christine auf und erkannte ihn. Eine dunkle Röte flammte über ihr Gesicht, über Stirn und Nacken. jagte „Gerd Haselkamp . . . jetzt kannst dich freuen, daß deine Vorhersagung einge¬ troffen ist,“ sagte sie bitter. Heiß stieg es in ihm auf. Ein wütendes Weh fraß an ihm. Herrgott, wie sie aussah, die jungschöne, blühende Christel! Wie gebrochen! Was hatte der Kerl aus ihr gemacht! . . . O, du Armes . . . du Armes! . .. Hah, wenn er dürfte .. „Nein, Christel, nein . . . ich freu' mich nicht! Du tust mir so leid ...! Ach, 77 Christel, warum... Er brach ab und bedeckte die Augen mit der Hand. Heftig ging eine breite Brust. Dann ballte er die Faust. „Ah, wenn ich könnt' —diesen ich wollt' Kerl „Still, Gerd. Er ist mein Mann.“ „Ja, ja, ich weiß.“ Er preßte die Lippen zusammen. Dann fuhr er entschlossen fort: „Christel, du mußt den Men . . deinen — deinen Mann von seinem Vorhaben abbringen! Es tut nicht gut. Bringt nur Unsegen! Und der schöne Hof zerstückelt...“ „Um Gottes willen, Gerd —wovon sprichst du!? Sie starrte ihn an. Welch ein neues Unglück drohte? „So weißt du nicht, Christel?“ erschrak er. „Nein! Nichts weiß ich! Welches Vorhaben? Was ist mit dem Hof? Sag' mir alles!“ forderte sie mühsam, die Hand aufs Herz gepreßt. Und so erfuhr Christine, was außer ihr alle wußten. Ihr Mann wollte die Landwirtschaft aufgeben und eine Stuhlfabrik errichten. In die große, langgestreckte Scheune, die ja ein stattliches Gebäude war, würden Fenster gebrochen werden. Das würde der Hauptarbeitsraum. Für die Dynamomaschine gäb's einen kleinen Anbau. Die Wagenremise würde Lager= und Vorratshaus. Geschulte Arbeiter aus der Wallonie sollten kommen, hauptsächlich aber hiesige Leute angelernt werden. Und, durch den großen Lohn angelockt, würden sie wohl zahlreich kommen. Holz gab es genug in der Gegend. Auch der Kreuzhof besaß schönen Waldbestand, der — freilich Gerd Haselkamp zuckte bedauernd die Achseln — arg zusammengeschmol¬ zen und gelichtet war. Außer den an Gerd Haselkamp verkauften Feldern hatte Grody auch noch die Wiesen im Erlengrund, die Bergweide und den schönen Weizenboden an der Sommerhaide veräußert. Und außerdem eine Hypothek auf den Hof aufgenommen zur Anschaffung der Maschinen, um ein großes Betriebskapital zur Verfügung zu haben*** Wie zerschmettert hörte Christine das alles an. Stumm, fast bewußtlos. Sie umkrampfte den Stamm der Esche, an der sie lehnte. Geängstigt bot Gerd ihr an, sie nach Hause zu bringen. Der Ausdruck der Verzweiflung in dem schneeblassen Gesicht schnitt ihm ins Herz. Sie schüttelte abweisend den Kopf. Mit starren Augen ging sie des Weges. Wie sie heimkam sie wußte es nicht. 21

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