Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1932

363 mich angenommen. Mein seliger Herr ist tot, aber seine Frau lebt noch — bei ihr kündige ich auch heute.“ „Gilbert, du gehörst zu uns! So hat Vater selig es immer gewollt. Du darfst nicht gehen, bat Christine, während ihrer Mutter eine schwere Träne aus den Augen rollte. Aber der Alte schüttelte den Kopf und sagte nur: „Kind, ein alter Mann paßt nicht mehr in die neue Welt hinein. „Gut!“ herrschte der junge Bauer, wütend über „dies Getue“. „Ihr könnt' morgen gleich gehen! Braucht die vierzehn Tage nicht auszuhalten. Christine sah ihn groß an, ein Befremden im Blick. Sie war empört. „Ferdinand!! . .. Das darfst du nicht! Gilbert bleibt hier und * „So? Das darf ich nicht?“ schrie der Bauer grob. „Wer ist Herr hier, du ich?“ oder Sein junges Weib sah ihn starr an. Ihre Arme sanken schwer herab. Das also war ihr Eheglück?* Schweigend verließ sie das Zimmer. Auf Christines Glück war ein Schatten gefallen. Zwar hatte noch am selben Abend Ferdinand Grody seine weinende Frau mit zärtlichen Worten beruhigt und versöhnt. Aber ganz verwischen ließ sich der böse Eindruck nicht mehr. Eine leise Bangigkeit wollte jetzt oft ihr Herz beschleichen. Als Gilbert einige Wochen später den Hof verlassen hatte, erkrankte plötzlich die alte Bäuerin, die sich schon längere Zeit unwohl gefühlt hatte. Es war in der Fastenzeit. Schneefälle und Regen wechselten miteinander. „Natürlich,“ schalt Grody, „das hat man vom Kirchenlaufen. Wozu brauchte die alte Frau in die Fastenpredigt zu rennen?“ „Aber, Ferdinand,“ verteidigte Christine, „wir sind doch auch in dem Wetter nach Monschau zum Kasino gewesen! Vom Kirchenlaufen ist noch keiner gestorben. Mutter ist ja immer asthmaleidend gewesen.“ Es blieb aber nicht bei Asthma. Lungenentzündung mit Herzschwäche trat hin¬ zu und schon nach einer Woche bettete man die alte Kreuzhofbäuerin unter die Schneedecke neben ihren Mann 7 Christine war fassungslos, wie zerschlagen vor Jammer. Zu unerwartet kam der Schlag. Der Tod ihrer Mutter traf sie bis ins Innerste. Sie weinte, als sollte ihr das Herz brechen. Es gelang ihrem Mann nur schwer, sie etwas zu trösten. Ihm selbst ging der Verlust nicht nahe — wenn er sich auch bemühte, Trauer zu heucheln. Jetzt erst war er der Herr! War ganz frei! Brauchte nicht mehr die klugen, forschenden Augen der alten Frau zu scheuen. Das erste, was er tat, als draußen die Feldarbeiten begannen, war, daß er einen „Inspektor“ anstellte. Es war ein früherer Dienstkollege von ihm, 870 „ein schneidiger, fescher Kerl, der mal frischpulsierendes Leben in den altmodischen Be¬ trieb bringen sollte!“, wie Ferdinand Grody ihn seiner Frau vorstellte. Christine war unangenehm überrascht. Hatte doch ihr Mann bei der absicht¬ lich herbeigeführten Kündigung Gilberts ihr zur Beschwichtigung erklärt, Gilbert sei überflüssig, er selbst nehme jetzt die Leitung in die Hand: da sei es seiner Ehre zu¬ wider, den selbständigen Alten neben sich zu haben! Und nun saß dieser fremde Mensch mit den schwarzen, flackernden Augen, dem übertrieben höflichen Benehmen und den schlangenglatten Manieren täglich mit ihr und Ferdinand am Tische. Denn sie konnten ihn doch nicht beim Gesinde essen lassen. Wozu braucht ihr Mann einen Inspektor? ... Warum arbeitete er nicht selbst tüchtig mit, wie es ihr Vater auch getan hatte! Trug der Hof das denn? „Aber Närrchen, arbeite ich denn nicht?“ lachte der schöne Ferdinand und schwenkte seine Frau übermütig herum. „Gehe ich nicht jeden Morgen aufs Feld, um nach dem Rechten zu sehen?“

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2