Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1932

362 bernen Pflug“, wo er den noblen, freigebigen Gutsbesitzer spielte und bald bereit¬ wenn auch die — willige Zechgenossen fand, die sich von ihm freihalten ließen besseren Bauernsöhne sich von ihm fernhielten oder vielmehr auf feindlichem Fuße mit ihm standen. Als die junge Frau nach einigen Wochen einmal schüchtern auf die Arbeit hin¬ lachte er und küßte sie. wies, Später, Schatz, später! Ist ja noch stille Zeit. Muß mich erst hier einleben, mit Leuten anfreunden.“ den Dagegen wußte Christine nichts einzuwenden. Sie nickte. Ja, im Grunde hatte Ferdinand ja recht! Er mußte erst mal festen Fuß fassen. Ah, er durfte sich schon sehen lassen!. Sie war stolz auf ihren „feinen, schneidigen Mann“ und ließ ihn gern von den anderen bewundern. Keiner reichte an ihn heran, keiner! Auch Gerd Haselkamp nicht ** * Ihre Mutter dagegen sah ihn schon mit anderen Augen an. Es wurde ihr bald peinlich klar, daß der schöne Ferdinand der Religion gleichgültig, wenn nicht ge¬ hässig gegenüberstand. Zwar fuhr er mit seiner jungen Frau Sonntags zur Kirche, weil das eben nicht anders ging. Aber augenscheinlich hielt er das für höchst über¬ flüssig für einen „gebildeten, aufgeklärten Mann“. Dagegen spottete und witzelte er über Pfarrer und Kirche, über alle frommen Bräuche, die dem Volke heilig waren . . ., wenn er sich auch in Gegenwart der Frauen noch einigen Zwang antat. Bald wurden die bisher gehaltenen Zeitungen und Blätter abbestellt. Es kamen Berliner Zeitungen und Generalanzeiger ins Haus, in denen die alte Bäuerin, die gern las, mit Befremden gerade solche farblose und antikatholische Blätter erkannte, vor denen noch jüngst der Pfarrer gewarnt hatte. Er entschuldigte sich: ein weltgewandter, weitgereister Mann wie er könne doch keine „Käsblättchen“ lesen! Ueberhaupt: furchtbar „rückständig“ sei man hier in der Gegend! Die Geistlichen führten das Regiment! Und alle nasenlang stoße man auf ein Kreuz oder Heiligenbild draußen auf Weg und Steg. Lächerlich! Auch hier das große Kreuz an der Scheune.. Er zuckte die Achseln und ging pfeifend davon. Die alte Frau saß starr. Das Buch entsank ihren Händen. Das war ja schlimmer sie gefürchtet hatte! Gott im Himmel, so einer war das?! Bang fiel die Sorge als ihre Seele. Aber sie wollte vorläufig ihrer Tochter noch nichts von ihren Be¬ auf fürchtungen sagen, um ihr nicht das Herz schwer zu machen. Herrgott, was würde Und Christine war ahnungs¬ das werden!? Hätte sie doch auf Gilbert gehört ... nein, sie konnte ihr nichts sagen. los in ihrer jungen Seligkeit — Sie beschloß, selbst die Augen aufzuhalten und gelegentlich ein entschiedenes Wort zu reden. Christine sah alles noch durch die Augen ihres Mannes. Sie bemerkte deshalb nicht, daß er, der selbst in der Wirtschaft keinen Finger rührte, trotzdem alles auch gelte, was der alte Gilbert tat, ihm überall hineinkommandierte und den benör zeigte — mit der offenbaren Absicht, ihm das Leben hier zu verleiden. Herrn Eines Abends kam Gilbert ins Familienzimmer, was in den letzten Monaten selten geschah. nur„Bäuerin,“ sagte er zu der alten Frau mit bebender Stimme, „ich hab'’ ..., in vierzehn Tagen is meine Zeit um . . ., ich wollt' nur sagen ..., is es zieh' zu meiner Schwester, der Witfrau. ich Der Bäuerin entfiel der Strickstrumpf, sie starrte den Getreuen an. „Das ist nicht wahr, Gilbert?“ dochDie junge Frau aber rief bestürzt: „Gilbert, alter Freund, das könntest du tun?! Unseren Hof verl. Scharf klang Grodys Stimme dazwischen: „Bei mir habt Ihr zu kündigen, bin der Bauer!“ ichGilbert wandte nur den Kopf nach ihm und sagte schwer: „Als ich vor drei¬ undzwanzig Jahren auf den Hof kam, da hat der Kreuzhofbauer und seine Frau

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