377 Die Lösung. Originalerzählung von Henriette Brey. Die Sakristanin Schwester Celesta löschte die Kerzen des Altares und legte die Schutzdecke auf. Dann ordnete sie noch dies und das, füllte das Ewige Licht neu auf, verharrte an der Kommunionbank in einer kurzen An¬ betung und wandte sich zum Gehen. Nein, noch nicht. Zuvor kniete sie seitwärts am Marienbilde nieder. Das war immer das Letzte, so oft sie die Kapelle verließ. Das mütterlichliebe Marienstandbild dort in der Nähe zog sie unwiderstehlich an. Ihrer himm¬ lischen Königin hatte Schwester Celesta immer noch etwas zu sagen. Mit ihr beriet sie alles, ihr vertraute sie alles, ihr brachte sie alles: Blumen, Kerzen, Gebete und ihr ganzes Sein und Lieben. Sie konnte sich immer nur schwer trennen. Nur noch ein kleines Weilchen und noch ein Weilchen! Nur ein Minütlein noch, ich arbeite gleich um so schneller! Süße Mutter, sei gegrüßt! * * * Nur noch ein paar Augenblicke! Heute schien Schwester Celesta überhaupt nicht nach der Zeit zu fragen, — sie nicht zu schienen ihre Tagespflichten — sie half in der Krankenpflege drängen. Oder sie hatte sie vergessen . . . über einem aufgewühlten Denken. Vor dem Bild der Hochgebenedeiten kniete sie, die Arme auf der Bank aufgestützt, das Gesicht in den Händen vergraben. Der ruhige Spiegel ihrer Seele, der sonst nur himmlische Dinge widerstrahlte, war heute aufgestört, — weil aus der Erdenwelt da draußen ein Erinnern hineingefallen war wie wenn ein Steinchen in den Wasserspiegel fällt und zitternde Wellenkreise zieht. Ein Erinnern, durch einen Namen geweckt! Ein Name, Josef Grauthoff hieß der Kranke, den sie pflegen half ... der gar nichts Ungewöhnliches an sich hatte, ja, der in diesem Landstrich sehr häufig vertreten war. Es bestand auch gar kein Zusammenhang mit jenem andern Josef Grauthoff, der vor Jahren ... Und doch war ein Erschrecken mit blassem Schein über ihr Gesicht ge¬ flogen, als der Name ihr plötzlich von der Tafel zu Häupten des Bettes entgegensprang. * Versanken vor ihr Jahre? Viele, viele Jahre. Josef Grauthoff! Nein, nicht vergessen hatte sie den Freund ihrer Kind¬ heit und Jugend . . . dem sie einst hatte weh tun müssen — der längst in irgend einem flandrischen Grab moderte. O nein, vergessen nicht. Aber er war ihr doch mit den Jahren immer ferner gerückt, eingetaucht wie in eine Nebelwand. War ein Schemen geworden! Gewohnheitsmäßig schloß sie ihn in ihr Gebet ein. Doch er war nur noch einer von vielen der einem Fremden Und nun stand unvermutet sein Name vor ihr — gehörte und doch der seine war ... ihr einst teuer. Schwester Celesta in der Bank vor dem Marienbild hob einen Augen¬ blick den Kopf und sah leer vor sich hin. Dann suchte ihr Auge das Antlitz Marias: „Mutter, konnte ich damals anders? Hast nicht du selbst einge¬ griffen ... die wirren Fäden gelöst? Warum muß sein Name aufs neue 77 bedrängen? mich Ganz still war es in der Kapelle. Leise nur knisterte das Ewige Licht, warf pulsende rote Wellen, wie ein zuckendes Herz. Wieder lag Schwester Celestas Gesicht in den Händen; die Mittelfinger preßten die Augenlider ein. Das, was längst versunken war, stieg aus dem
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