Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1930

386 einer Kette einen gewaltigen Mühlstein empor. Sofort kamen aus dem Loch Schwefeldämpfe, Heulen und Zähneknirschen. „Da schau hinunter,“ schrie der Teufel und hielt sich die Nase zu. Ich warf einen Blick in den Abgrund. Hilf Himmel! Erschrocken prallte ich zurück. Tief unten zwischen Schlangen und Molchen und eklem Gewimmel in einem feurigen Schwefelpfuhl hockte Luther. * Entsetzt schlug ich die Hände vor's Gesicht bei diesem gräßlichen Anblick undächzte: „Den Deckel zu, den Deckel zu!“ Dröhnend polterte der Mühlstein wieder auf die Oeffnung. Und von dem furchtbaren Donner und dem Schrecken erwachte ich .. Prost, meine Herren — auf den Schrecken müssen wir eins Trinken! Ja, Herr Baron, Sie lachen. Ich sage Ihnen, es war kein Spaß!“ „Na, Kandidätchen, stichelte der schadenfroh, „was habe ich Ihnen ge¬ Der ist Ihnen über. sagt? „Aber, Herr Konfrater, Sie sind doch nicht etwa beleidigt?“ „Beleidigt?“ Der Kandidat zuckte die Achseln und biß sich auf die Lippen. solchen Waffen. „Mit „Aber wieso denn Waffen?“ machte der Kaplan harmlos. „Ich erzähle doch bloß, ebenso wie Sie, einen Traum. Unsereins kann doch auch ein¬ mal interessant träumen, nicht wahr? Und mein Traum ist, wie gesagt, genau sowahr, wie der Ihrige. Doch ich bin noch nicht fertig, meine Herren. Sehen Sie, Herr Kandidat, Sie haben's doch nicht sehr klug gemacht, als Sie im Himmel waren. Sie hätten tun sollen wie ich. Mit einem Trinkgeld erreicht man alles. Also, Sie hätten sich auch mal so einen herumschwebenden Engel heranwinken und beim Fittich erwischen sollen mit der Frage: „Freund, wo ist denn hier die Jungfrau und Gottesmutter Maria?“ Dann, Herr Kandidat, wäre Ihnen schon Auskunft geworden. Dann hätte der Engel mit freudeglänzenden Augen Sie belehrt ... und damit stand der Kaplan auf, schob den Stuhl hinter sich und stand da in seiner ganzen, schlanken Größe, mit plötzlich tiefem Ernst in der Stimme — „dann hätte der Engel gesagt: „Maria? Die Königin aller Engel und Heiligen? Unsere Herrin und Frau, die das Heil der Welt geboren hat? Maria, die vielgeliebte Mutter unseres Herrn, des ewigen — O, für die ist Vaters erwählte Tochter, des Heiligen Geistes reinste Braut? doch der gewöhnliche Himmel nicht gut genug, mein Freund! Komm mit, ich werde sie dir zeigen.“ Und der Engel wäre mit Ihnen emporgeschwebt, hoch, hoch, immer höher, durch alle sieben Himmel, durch alle Sphären hindurch —“ die Stimme des Sprechenden bebte vor innerer Bewegung. Hoch reckte er den Arm empor — „und hoch da oben, Herr Kandidat, ganz nahe am Throne der allerheiligsten Dreifaltigkeit, zur Seite ihres geliebten Sohnes, in Licht und Glanz und Glorie ... da hätten Sie die Gottesmutter und Jungfrau Maria gefunden! Der junge Priester stand noch da wie der Umwelt vergessend. Dann ließ er den erhobenen Arm sinken, schaute um sich, griff zur Uhr: „O Verzeihung, höchste Zeit für meine Vereinssitzung. Guten Abend, meine Herren!“ Er drückte dem Kandidaten die Hand, verbeugte sich vor den anderen und war zur Türe hinaus.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2