Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1930

385 ragten . . . . Doch der evangelische Herr Konfrater ist ja Dantekenner, wie ich zu meiner Freude feststellen konnte. Da malen Sie sich nur selbst die Qualen und Strafen der Verlorenen aus. Und nun, als ich alle Höllenkreise durchwandert hatte, da ging's mir wie Ihnen, Herr Kandidat: auch ich vermißte jemand. Und ich fing verwundert an zu denken: Ja, aber — das ist doch sonderbar! Wo ist denn hier der Luther, der Doktor Martin Luther? . . . Bitte ausdrücklich um Verzeihung gar keine Absicht zu beleidigen! Für seine Träume kann man ja nicht, der freie Wille ist ausgeschaltet. Also ich denke: Der Luther muß doch in der Hölle sein, dieser Mann, der so entsetzliches Unheil angerichtet — sit venia verbo, meine Herren! — der diese traurige Glaubensspaltung auf dem Ge¬ wissen hat, all die Religionskriege und in ihrem Gefolge den Dreißigjährigen Krieg, der unser armes Vaterland verwüstete. Gar nicht auszusagen ist es ja, was dieser abgefallene Mönch verschuldet hat. Wohlgemerkt: im Traum dachte ich so — doch was haben Sie, Herr Kandidat? Dieser zwirbelte nervös sein Bärtchen. 77 „Hm, mir scheint doch, Herr Konfrater, daß Sie da ein wenig .. „Ja, nicht wahr?“ sagte der Kaplan eifrig mit liebenswürdigem Lächeln, „Recht haben Sie! Sonderbare Sachen träumt man oft. Ich bin da wirklich unschuldig daran, habe wohl verkehrt gelegen! Also, was ich sagen wollte: Mir kam die Sache unglaublich vor. Aber wo ich auch die Augen hinschweifen ließ, kein Doktor Martin Luther war in derHölle zu entdecken!“ „Na also,“ atmete der Kandidat auf. Der Pfarrer nickte. Der Baron blinzelte pfiffig. Jetzt kam sicher eine liebenswürdige kleine Teufelei. Schön. Sehr erfreulich für Luther. Aber — da kam mir ein Gedanke. Ich fühlte in die Westentasche, wo ich manchmal für besondere Fälle ein Gold¬ stück stecken habe. Richtig, auch heute steckte eins drin. Sehen Sie, mein Freund, wir katholischen Priester brauchen ja nicht für Weib und Kind zu sorgen, haben also immer noch für besondere Zwecke einen Groschen übrig. Also ich nehme mein Goldstück und winke so einem gehörnten und langge¬ schwänzten Teufel heran, der sich am Feuersee, die Gabel in der Hand, her¬ umtrieb. Eilig kam er herangesaust. „He, Teufelchen, hier ist ein hübsches Trinkgeld. Nun gib mir aber mal Auskunft. Ist der Luther nicht in der Hölle? Na, da hätten Sie die höllische Exzellenz mal sehen sollen! Zischend und fauchend schwang er seine Gabel, so daß mir angst und bange wurde. 77 „Was?“ schrie der, „der in der Hölle? Der Luther, der ... der ... Verzeihen Sie, meine Herren, ich kann unmöglich all die lieblichen Epitheta ornantia wiederholen, mit denen er das Scheusal Luther belegte, sie sind wirklich nicht salonfähig. Ich kann ja nichts dafür — aber Koseworte waren es nicht! Und im Knigge haben sie auch nie gestanden! Ein Glück für den Teufel, daß er nicht in Deutschland lebt; er wäre wegen Verbalinjurien gerichtlich belangt worden. Also, nachdem er sein Schimpflexikon erschöpft hatte, schrie er: „Für den ist doch die gewöhnliche Hölle zu gut! Komm mal mit!“ Ich folgte ihm beklommen. Noch tiefer ging's hinab, in einen grausigen Schlund. Schauerlich, sage ich Ihnen. Ganz, ganz unten tief hielt er ein, bückte sich, riß eine Kette hoch — aber ich bitte Sie, Herr Kandidat, bleiben Sie doch ruhig sitzen, es ist doch bloß ein dummer Traum — also er riß an 25

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