Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1930

384 „Bewahre, bewahre, hat nichts zu sagen,“ beruhigte der Kaplan. „Kein Unsinn so groß, daß er nicht geträumt wird. Man ist dann unzurechnungs¬ fähig und denkt Sachen, über die jedes siebenjährige katholische Schulkind lacht. Aber fahren Sie fort in Ihrem interessanten Bericht, Herr Konfrater.“ „Nun, eigentlich ist weiter nicht viel zu erzählen. Ich schaute vergebens in alle Hallen, durchforschte und durchspähte jeden Raum und seufzte: Ach, ihr armen, betrogenen Katholiken! Und war ganz traurig, weil die Maria im ganzen Himmel nicht zu finden war! . . . Das heißt: möglicherweise ist sie doch drin, warum auch nicht? Ich glaube es sogar. Aber sie verschwand dann eben in der ungeheuren Schar der im Glauben an ihren Erlöser Ge¬ retteten. Jedenfalls nahm sie keine Ausnahmestellung ein, meine Herren. Wie ich schon sagte, nichts besonderes. Ich dachte auch heute gar nicht mehr an den Traum. Nur als ich jetzt so freundschaftlich mit den Röml mit den katholischen Herren zusammensitze — da überkam mich plötzlich wieder die Wehmut über die armen Katholiken, die ich diese Nacht so stark empfand.“ „Gut gebrüllt, Löwe!“ rief der Baron heiter und schlug den Redner auf die Schulter. „Nun müssen die katholischen Kollegen sich aber wehren!" Der Pfarrer sah auffordernd seinen Kaplan an. Der aber lachte harmlos. „Wehren? Aber wieso denn, Herr Baron? Im Gegenteil, es ist ja rührend, wie edelmütig der Herr Konfrater für unser Seelenheil besorgt ist. Dafür sind wir dankbar. Sogar Tränen der Wehmut preßt es ihm aus über die „armen irregeleiteten Katholiken“ — nebenbei gesagt, gar nicht Ursache zum Mitleid! Wie wir schon öfters konstatierten, sind ja Träume nichts als sinnlose Phantasmata. Prost, meine Herren! Trinken wir eins! So. Na, und da fällt mir ein — wahrhaftig, ich hab’ doch heute nacht einen ganz ähnlichen Traum gehabt! Potztausend, das war mir ganz entfallen. Nun, das ist aber ein ganz merkwürdiges Zusammentreffen. Duplizität der Fälle! Kommt vor. Sogar dieselbe Struktur des Traumes! Jedenfalls ein Zeichen von Seelenverwandtschaft!“ „Erzählen, erzählen!“ riefen Herr von der Heiden und der Pfarrer gleichzeitig. Der Herr Kandidat sagte langsam: „Sonderbar, Herr Konfrater wirklich seltsam! „Freilich, äußerst seltsam!“ bestätigte dieser unschuldig, während tausend Spotteufelchen hinter seinen Brillengläsern lachten. „Aber wahr. Genau so wahr, wie Ihr Traum, Herr Kandidat, genau so wahr ist auch der meine. Doch zuerst wollen wir einmal die Kehle anfeuchten. Zum Wohlsein, Herr Kandidat, stoßen wir an auf eine gedeihliche Nachbarschaft!“ Der tat mit sußsaurer Miene Bescheid. „Jetzt spannen Sie uns nicht länger auf die Folter, Kaplänchen, heraus mit Ihrem Zwillingstraum!“ rief der Baron, seelenvergnügt, daß er nun zwei Kampfhähne, wie er glaubte, aneinander gehetzt hatte. „Schön. Also ich war in der Hölle. Denken Sie sich, meine Herren, ein katholischer Priester in der Hölle! Na, kann auch vorkommen. Unter zwölf Aposteln gab's einen Judas. Aber eigentlich war ich ja nur zum Besuch da, vielmehr zur Abschreckung. Nun, abschreckend war es schon. Schauderhaft! Es geht mir noch durch und durch. Ich war also in der Hölle und wanderte durch alle Höllenräume. Immer tiefer ging's hinunter, von einem Kreis zum andern. Ich sah den Feuersee, den lebendigen Dornenwald, die Eiswüste, aus der die bis zu den Augen eingefrorenen Köpfe der Verdammten

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