Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1930

380 Kurz und gut, seine Wahl schien gesichert. Das heißt endgültig dar¬ über zu entscheiden hatte der Baron von der Heiden, welcher Patronatsherr der evangelischen Kirche zu Sonsbeck war und sowohl das Vorschlags= als auch das Ernennungsrecht besaß. Und — hm — war ein gar absonderlicher, schrulliger Herr, bei dem man nie wußte . . . Na, abwarten! Der Kandidat saß unterdessen auf Haus Winkel, dem eine halbe Stunde von Sonsbeck entfernten Gute des Barons, im gemütlichen Gartensaal bei einer Zigarre dem alten Baron gegenüber. Ein ausgiebiges Mittagessen lag hinter ihnen. Die Herren plauderten von Land und Leuten. Der Gast betrachtete eben ein fein ziseliertes silbernes Behältnis, das auf dem Kamin¬ simsstand. „Merkwürdiges Ding. Was soll das vorstellen?“ „Ein Reliquiar!“ erklärte der Baron. 5 K „Ein — Reliquiar?“ Betreten stellte der junge Herr das Ding aus der Hand. „Ja, ein Reliquiar. Stammt noch aus unserer papistischen Zeit,“ be¬ stätigte der Baron trocken. „Wirklich? So waren die Vorfahren des Herrn Baron katholisch?“ „Gewiß, bis auf die Knochen! Erzkatholisch! ... Das waren die 77 Ihrigen doch wohl auch? „Da muß ich doch bitten, Herr Baron,“ verwahrte sich der andere emp¬ findlich. „Schon mein Urgroßvater war Diener am Wort.“ „Urgroßvater! Na, da kann ich die meinen schon etwas weiter zurück¬ führen,“ meinte Herr von der Heiden hochmütig. „Und die waren katholisch.“ „Aber Hans Karl,“ rief in diesem Augenblick die Baronin, die sich zu den Herren gesellte, „sprich doch nicht so was Schreckliches! Das ist bloß Scherz, Herr Kandidat. Wir sind von jeher gut evangelisch gewesen. Meine Vorfahren wenigstens von Anfang an! „Na, dann mußt du deinen Stammbaum um etliche Jahrhunderte kürzen,“ meinte der Hausherr ironisch, „denn vor dem 16. Jahrhundert gab's noch keine Protestanten, ergo waren meine Vorfahren damals katholisch. Ich vermute demnach, daß die deinigen noch nicht existierten,“ schloß er mit einer spöttischen Verbeugung zu seiner adelsstolzen Frau. Sie biß sich auf die Lippen und trat achselzuckend in den Garten hinaus. Unbehaglich saß der Kandidat da. Endlich fragte er aus seinen Sinnen heraus: „Um an unsere Unterhaltung von heute morgen anzuknüpfen, Herr Baron — Sie haben also wirklich nicht gescherzt? Ich soll tatsächlich mich mit diesen Römlingen messen?“ „Ganz recht: messen! so sagte ich. Gewiß, mein Lieber, das ist conditio sine qua non, schmunzelte der alte Herr. „Da Sie in ganz gemischter Ge¬ — meinde wirken werden — Sonsbeck ist zum größten Teil katholisch so möchte ich wissen, ob Sie auch gegebenenfalls den Herren von der anderen Seite gewachsen sind ... „Gewachsen,“ dehnte der Kandidat selbstbewußt. Verehrter Herr Baron, das ist doch außer Frage! Im Gegenteil — war die Unwissenheit ...“ „Na, na, unterschätzen Sie nur die katholischen Kollegen nicht, sonst können Sie noch Ihr blaues Wunder erleben, lachte der andere. „Also es bleibt dabei, heute abend gehen wir beide zum Dämmerschoppen nach Capellen. Das ist das nächste Dorf. Ist mir näher gelegen als Sonsbeck. Im Gasthof „zur Post'’ verzapfen sie ein feines Weinchen. Heute ist Sonntag.

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