Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1930

368 seiner Frau geblieben; aber es mangelte durch die vielen Krankheitsfälle des letzten Jahres an allem. Die Klarinette klingt hell aus der Tanzweise hervor. In jubelnden Trillern steigt sie auf und ab. Weh hämmern die Töne auf das Herz des armen Spielers. Wie mag es stehen? — Wenn Nachricht käme, daß es zu Ende gehe. — Nein, er darf nicht daran denken. — Wie sollte das weiter¬ gehen — fünf kleine Kinder! — Spielen, spielen! Und die Klarinette jubelt im Konzert fest und taktsicher! — Pitt schaut während der Pausen in den Saal hinab. Wie sie sich freuen! Die Augen der Mädchen so blank, die Wangen so rot, die jungen Leute laut und übermütig, als sei die Welt ein Freudental. — Und zu Hause lag sein Weib. — Er sieht sie wieder vor sich, still und ergeben! Das ganze Treiben widert ihn an. Es kommt ihm vor, als tanzten die da unten auf der schwankenden Grasnarbe eines Sumpfes, als sei das Getue da unten ein Gauklerspiel, das über das armselige, wirkliche Leben hinter den Kulissen hinwegtäuschen sollte. — Achtung! Die Pflicht ruft. — Die Klarinette jauchzt wieder auf. Dort in der Ecke sieht Pitt Lendert ein junges Paar sitzen. Er rückt an sie heran und drückt ihr schüchtern unter dem Tisch die Hand. Selig leuchtet ihr Auge. Goldene, liebeverklärte Zukunft schaut sie. Pitt muß hinschauen und weiß nicht, warum. Die Klarinette kommt einen Augenblick aus dem Takt! Ein Bild aus ferner Zeit taucht vor seinen Augen auf. In der Ecke hat er einst mit seiner Annekathrin gesessen. Da haben sie sich still versprochen. Herrgott, war das eine schöne Zeit! Mit gesunden Armen und treuen Herzen hatten sie ein Halbjahr später den Lebensbund geschlossen. Treu hielten sie im nüchternen Alltag zusammen. Und jetzt! Du lieber Gott, nimm sie mir nicht weg! Es wird ihm so sonderbar zumute. — Er sieht durch die tanzenden Gruppen sein Weib, stöhnend und ächzend! Ist das nicht sein Junge, der dort am Eingange des Saales steht? Ja, er ist es! Der Wirt zeigt auf Pitt Lendert. Die Augen des Jungen scheinen in dem dunstigen Qualm schreckhaft geöffnet. Herrgott, es geht mit ihr zu Ende! Die Klarinette stößt schrille Töne aus, dann fällt sie zu Boden. — Pitt Lendert ist auf seinem Stuhl zusammen¬ gebrochen. Jäh verstummt die Musik. Die Kollegen bemühen sich um den Armen. Unten entsteht Verwirrung und fragende Unruhe. Was ist da oben geschehen. Die Leute werden beruhigt. In einigen Minuten werde der Tanz fortgesetzt. Durch die Ueberanstrengung sei der Pitt ohnmächtig geworden. „Vater, Vater, nicht sterben! Mutter wird besser!“ Sein ältester Junge kniet bei ihm und ruft es ihm ins Ohr. 7 Pitt öffnet die Augen. „Was ist? Wer spricht da von Mutter? „Ich bin es, Vater. Du mußt nicht sterben, Mutter wird besser. Der Doktor war da. Die Gefahr ist vorbei.“ Da springt Pitt Lendert auf, umarmt seinen Sohn, gibt ihm einen Kuß, was er sonst selten tut. „Gott Lob und Dank. Nun ist alles gut. Jetzt an die Arbeit.“ Er greift zur Klarinette und die anderen folgen ihm. — Der neue Tanz wird von unten mit lautem Jubel begrüßt. Die Klarinette jauchzt und trillert wie heller Lerchensang über dem grünenden Felde.

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