Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1930

263 unsere Kinder insbesonders das Miterleben der impulsiven deutschen Arbeits¬ tüchtigkeit, die zweifellose Erkenntnis, daß ein solches Volk niemals untergehen könne, von höchster Bedeutung, ja zumeist von unauslöschlichem Eindruck für das ganze Leben. Da die Kinder zumeist im Alter von vierzehn bis siebzehn Jahren stehen, wo das Gemüt weich ist wie Wachs, so wirken schon die Eindrücke auf der Hin= und Rückreise überaus mächtig: auf den technisch veranlagten wirkt das große Kachlet¬ werk oberhalb von Passau und die riesigen sächsischen Industriestädte, alle aber ergreift die Größe deutscher Arbeit im Riesenbahnhof von Leipzig und im Berliner Aquarium, den Naturfreund interessieren die riesigen pommerschen Wälder, die großen belebten Seen rund um Berlin, die eigenartige Bauweise der Bauernhäuser und Rittergüter, die alten malerischen Windmühlen und die großen Herden der schwarz=weiß gefleckten Rinder, Pferde und Schafe. Der deutsche Landwirt, welcher keinen so herrlichen Boden zu bearbeiten hat wie unser oberösterreichischer Bauer, hat allerdings dafür billige hochwertige Düngemittel zur Hand, die er voll und ganz auszunützen versteht. Dann wieder erfüllt alle grenzenlose Bewunderung über die ganz wundersame Bewältigung des Riesenverkehres in Berlin, wo man mit größerer Sicherheit über den „Kurfürstendamm“ gehen kann als über die „Enge in Steyr. Und erst an den geweihten Stätten der großen deutschen Vergangenheit, am Sarge des „alten Fritz“ in Potsdam, in dessen prächtigen Schlössern und Gärten von Sanssouci, wo die alte historische Windmühle noch steht und sorgsam gehütet wird; sind dies nicht Kulturwerte für die junge Seele, Bilder, die nicht verblassen? Immer flacher wird das Land, der riesige Gürtel von Schrebergärten rund um Berlin, wohin die armen Berliner aus ihren heißen Mauern flüchten, ist vorüber, manche sandige Fläche blitzt auf, der Boden für Birken und Föhren, und endlich kommt für die Jugend jener ersehnte Augenblick, wo das Auge zum erstenmal seinen Traum erfüllt sieht, hinausschauen zu können auf die blaue See, wo nun eine ganz andere Welt sich auftut, ein neues Leben beginnt. Ebenso wie die reichsdeutschen Kinder mit jugendlicher Begeisterung in unseren Wäldern und Bergen umherstreifen, geradeso ergeht es unseren Kindern am Meer. Das Leben an der See wird so eingehend studiert und genossen, daß nicht einmal Zeit bleibt, in die Heimat ausführlich zu schreiben, denn all diese neue Herrlichkeit kann nicht geschildert, sie muß mit leuchtenden Augen erzählt werden. Vom gesund¬ heitlichen Wert des Seebades zu erzählen, ist wohl überflüssig. Rudern und segeln, im blüteweißen Sand sich wälzen und tollen, mit der „Schippe“ rund um den Strandkorb „Sandburgen“ bauen, auf denen in langen Reihen unzählige bunte Wimpel in der frischen Brise flattern. Eine wundersame Farbenharmonie: Die blau¬ grünen Wogen, der schneeweiße Sand, der grüne Strandhafer auf der Düne, dazu die hellen Farben der Badekleider und Bademäntel, überwölbt vom lichtblauen nordischen Himmel. Weit draußen die dunklen Rauchfahnen vorübergleitendec Dampfer, hoch in den Lüften fröhlich lachende Menschen, die in herrlicher Unge¬ bundenheit die reine Salzluft und das Bad genießen, wer könnte unseren Kindern Besseres wünschen? Welcher Jubel erhebt sich, wenn der Seegang stärker wird, wenn Tausende weißer Gischtkämme aufleuchten, so weit das Auge reicht, wenn die Kinder sich den Wogen entgegenwerfen, welche den ganzen Körper massieren und erwärmen, und mit eigenartigem Rauschen im Sande verrollen. Und in diese seltsame Musik mischen sich die Schmeichelklänge Straußscher Weisen, die gerade hier, fast einundeinhalb¬ tausend Kilometer von der Stadt der Lieder entfernt, um so mächtiger auf uns wirken und in weicheren Gemütern trotz all der Herrlichkeit vielleicht ein wenig am Heimweh rühren. Und noch ein Wort von der nordischen Kost! Tatsache ist vor allem, daß man den ganzen Tag infolge der Seeluft und durch das Bad zum Essen bereit ist, so daß auch die uns ungewohnten Speisen gern verzehrt werden. Mag auch die „kalte Suppe“, die hie und da auf den Tisch kommt, oder die „Speise“ nicht jedem behagen, so entschuldigen dafür die ausgezeichnet zubereiteten Fische, die im

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