326 Ich sah sie wohl das letztemal. Sie war totenbleich, die schönen Augen lagentief in den Höhlen, Müdigkeit, unendliches, tränen= und wortloses Leidsprach aus ihnen. Sie schien den Richtern Mitleid einzuflößen; man behandelte sie mit Ehrfurcht und ermüdete sie nicht durch zu viele Fragen. Eine betraf mich; ob sie mich für schuldig halte. Da wandte sie sich gegen mich, sie schien in meiner Seele lesen zu wollen, dann leuchtete ihr Auge in dunklem Glanze: „Nein, er ist gewiß nicht schuldig! — O, daß er meinetwegen hier stehen muß.“ Sie sprachs mit bebenden Lippen. Ich dankte ihr durch einen heißen Blick und prägte mir die edlen Formen dieses ärmsten Wesens tief ein. — Ihr Bild in meiner Seele ist ja das Einzige, was mir das Leben ließ, das einzig Gute, was in mir noch lebt, ist meine Liebe zu ihr. Ich nahm das Urteil ruhig entgegen, auf Berufung verzichtete ich ¬ ich sehnte mich fast nach der Grabesruhe des Kerkers. — Und nun bin ich zu Ende. Tag für Tag wird vergehen, gleichförmig, geisttötend. Ich wünsche diese Mauern nicht lebend zu verlassen; eines wünsche ich nur: mit Gott Frieden zu schließen. Ich werde beten. Meine Unschuld kam an den Tag. Nach achtmonatlicher Kerkerhaft bescheint mich die Sonne der Freiheit wieder. Ich darf den Menschen wieder ins Auge sehen, kein Schein des Verbrechens fällt mehr auf mich. Gott, ich danke dir. Das kam so. Von einem unserer amerikanischen Konsulate kam ein Bericht folgenden Inhaltes: Ein Auswanderer hatte durch einen seiner Freunde von meiner Ver¬ urteilung wegen Totschlages gehört. Beide waren nämlich mit dem Maler gut bekannt gewesen, er half ihnen bei ihren Schmuggeleien, sie unterstützten ihn zum Danke dafür bei seinen heimlichen Liebesabenteuern. Jener Auswanderer war nun gerade in der verhängnisvollen Nacht im Begriffe, sich über die Grenze zu flüchten, weil er wegen verschiedener Delikte bereits angezeigt war. Er benützte den dunklen Hohlweg auf seiner Flucht und hörte Stimmen, die von oben kamen. Er verbarg sich im Gebüsch, da er meinte, es seien Grenzwächter. Gleich darauf hörte er in seiner nächsten Nähe das Poltern eines fallenden Gegenstandes und einen gellenden Schrei. Er kroch vorsichtig näher, es trieb ihn eine merkwürdige Neugierde, und erkannte im fahlen Mondlicht den Maler. Er fragte ihn leise, was geschehen sei. Der Maler erzählte in wenig Worten, wie er mir wegen des Streites und meines Ungestüms ausweichen wollte, wobei er nach einigen Schritten zu Falle kam. Er wollte sich rasch an einem Gesträuche festhalten, dieses gab aber nach und so war sein Schicksal besiegelt. Er schien im Augenblicke an seinen Tod nicht zu denken. Fluchend ballte er die Faust und schwor mir Rache, weil ich ihm die reiche Braut abwendig mache — dann schüttelte es gewaltig seinen Körper und er hatte geendet. Jener Mann setzte seine Flucht nun rasch fort, er fürchtete, wenn er in der Nähe gesehen würde, in eine noch unangenehmere Lage zu kommen. Glücklich gelangte er nach Amerika und erfuhr erst dort nach längerer Zeit meine Verurteilung als Neuigkeit aus der Heimat.
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