325 „Hältst Du sie für eine Dirne?“ schrie ich und gab ihm einen heftigen Schlag ins Gesicht. „Morgen sehen wir uns wieder mit den Waffen in der Hand. Wir waren inzwischen an den Rand eines steilabfallenden Felsen gekommen, wo dichtes Gebüsch den Weg ganz verdunkelte. „Ich mich mit Dir schlagen wegen einer solchen Lappalie?“ höhnte die feige Memme, wich einige Schritte zurück und wollte im Gebüsch verschwinden. Rasend stürzte ich nach. Meine Augen bohrten sich gierig in das nächtliche Dunkel, ich weiß sonst nichts, als daß ich ihn suchte, daß ich wollte, er müsse mir Rede stehen. Plötzlich hörte ich einen dumpfen Fall und einen gräßlichen Schrei. Hatte er sich am Rande niedergekauert, so daß ich ihn vielleicht in meiner wütenden Hast hinabstürzte — oder war er ausgeglitten und hinabgefallen? Ich weiß es nicht. Am nächsten Tage erzählte ich dem armen Mädchen in abgerissenen Sätzen alles, ihre Wangen erblichen — eine wohltuende Ohnmacht hielt ihre Sinne umfangen. Ich eilte wie von Furien gepeitscht fort und stellte mich dem Richter. In meiner ersten Aussage habe ich mich unter den furchtbaren Eindrücken selbst als schuldiger hingestellt, als ich jetzt mich fühle. Ich habe keine Hoffnung auf Freispruch — und viel würde er mir auch nicht nützen. Nur in ihren Augen möchte ich nicht als Mörder dastehen, an dem Urteile der anderen liegt mir nicht viel. Verurteilung. — Wendung. Nun ist auch dieser aufregende Tag vorüber. Ich bin unter Anwendung von Milderungsgründen wegen Totschlag zu einem Jahre Kerker verurteilt. Alle Umstände sprachen gegen mich. An einen Unfall wollten meine Richter nicht glauben, da ich die hitzige Auseinandersetzung und meine Duell¬ forderung selbst zugegeben hatte. Es mußte den Richtern der Indizienbeweis als völlig gelungen gelten. Wir waren Nebenbuhler. Er hatte gegen sie infam gehandelt, mich noch verspottet, es war sonst niemand in der Nähe des Tat¬ ortes. Wie nahe liegt da der Schluß, daß ich selbst Rache nahm. Und hätte ich es vielleicht in meiner grenzenlosen Wut und Verzweiflung nicht wirklich getan, wenn ich ihn erwischt hätte? Oder tat ichs am Ende doch und hat die furchtbare Aufregung mir die Erinnerung an jene paar Augenblicke aus dem Gedächtnisse gelöscht? Ein Unfall erschien den Richtern deswegen unwahrscheinlich, weil dem Maler nach den Aussagen aller jener Männer, mit denen er dort verkehrte, alle Wege und Pfade nur zu gut bekannt waren. Er schien nach den ver¬ steckten Angaben sogar bei vielen Schmuggelgeschichten beteiligt gewesen zu sein. Das Antlitz des Toten hatte einen entsetzlichen Ausdruck des Hasses, die rechte Hand war geballt — wohl gegen seinen Mörder. — Die Welt hält mich für schuldig. Doch nein, es gibt eine Ausnahme: sie, mein armes unglückliches Lieb teilt nicht die allgemeine Ansicht. Auch sie mußte im Gerichtssaale erscheinen. O hätte ich ihr dies nur ersparen können! Sie mußte in den Raum treten, wo so viele Verworfene ihr Urteil empfangen. Alle Schmerzen mußten erneuert, alle Wunden auf¬ gerissen werden.
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