Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1929

324 einsamer Gegend nicht gerne begegnet; es mochten Wilderer oder Schmuggler oder beides zugleich sein. ich Ich kümmerte mich anfangs um ihre derbe Unterhaltung nicht, war ja mit mir selbst zu sehr beschäftigt. Auch sie schienen mich nicht zu beachten, sondern führten ihre Unterhaltung ganz laut und ungescheut weiter. Plötzlich stutzte ich; ich hatte den Namen des jungen Malers vornom¬ men. Unauffällig verfolgte ich das wirre Durcheinander von Stimmen. Ich entnahm dem Ganzen eine Neuigkeit, die mich gerade lähmte. Dieser Schurke, den ich Freund nannte, hatte in einem der nahen Täler ein hübsches Mädchen verführt, er war eben wieder im Begriffe, ein neues Opfer seiner tierischen Lust zu umgarnen, und dabei nannte er ein so schönes, edles Geschöpf Braut! Auch ihr Name wurde von diesen verächtlichen Kreaturen entweiht, die seine Helfershelfer zu sein schienen. Ihres Reichtumes willen hatte er sich an sie gedrängt, ihre Schönheit mochte seine Begierden gereizt haben. Ich horchte noch immer regungslos und erfuhr, daß der saubere Patron heute noch zu seinem zweiten Opfer gehen wollte. Weg und Steg kannte ich gut. Ich brach sofort auf, um ihn auf frischer Tat zu ertappen. Lange wartete ich an einer geschützten Stelle. Ueber mir funkelten die Sterne. Ich kannte aber jetzt keinen andern Gedanken, als dem Räuber 72 meines Glückes, dem unwürdigen Erwählten des besten Mädchens Aug' in Aug' gegenüber zu treten und Rechenschaft zu fordern. Dieser Unhold durfte ihre Lippen küssen, ihre herrliche Gestalt in seine Arme fassen, aus ihrem Munde die liebevollsten Worte hören! Ich selbst habe ihm geholfen, ihm unbewußt ein neues Opfer zugeführt. Und deswegen ward ich so elend, deswegen sank ich zum Lumpen herab! Aber ich habe wenigstens keine schuldlose Seele in den Pfuhl des Lasters gestoßen, ich habe nur mit verworfenen, in Sünden versunkenen Menschen gefrevelt. Er soll mir Rede stehen und büßen. Religion hatte ich nicht mehr, darum beschloß ich, ihn sofort zum Zweikampfe aufzufordern. Mein armes Lieb wollte ich aufklären, den Krallen dieses Ungeheuers entreißen; in der Verteidigung ihrer Ehre zu fallen, schien mir die beste Sühne für meine schlechten Taten. Endlich nahten Schritte; er war es. „Woher kommst Du?“ redete ich ihn grollend an. „Nun, nun, bist Du am Ende böse, daß ich heute Deiner lieben Ge¬ ft fernblieb? Schau, ich wollte mal einen Ausflug machen. sellschaf „Verstelle Dich mir gegenüber nicht; ich weiß durch Zufall alles. Du 1 Madchenverführer, Du betrügst Deine Braut.“ bist ein „Ah, Du Sittenrichter? Das finde ich komisch. Geh, alter Freund, ich wir haben uns gegenseitig in diesem Punkte nichts vorzuwerfen. meine „Vergleiche mich nicht mit Dir; ich wurde schlecht aus Verzweiflung, Du bist es von Natur aus. „Beleidige mich nicht! Wo liegt in meinem Verhalten nach den Be¬ griffen eines modernen Menschen eine Schlechtigkeit? Ich genieße meine Jugend, haue ein wenig über die Schnur, Betbruder bin ich ja nicht.“ „Aber ein elender Schurke bist Du,“ rief ich mit bebender Stimme, „Deinetwegen habe ich meinem süßesten Glücke entsagt, ich habe Deine Braut mit reinster Liebe geliebt Da unterbrach er mich mit höhnischem Lachen und stellte eine Zumutung an mich, die mir die Zornes= und Schamröte ins Gesicht jagte.

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