Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1929

322 Langsam kehrte die Ruhe wieder in meine Brust zurück. Doch das war eine Ruhe, als läge ich im Grabe. Mein Versprechen fiel mir ein und drückte mich anfangs mit Zentnerwucht. Ich habe sie lieb; wahre Liebe sucht zu beglücken; ich kann es, indem ich meinen süßesten Hoffnungen entsage, indem ich ihre Bitte erfülle. Diese Gedanken erwog ich in tausend Variationen. Eines übersah ich freilich: Auch die reinste Liebe zu einem Wesen des andern Geschlechtes ist in ihrem Urgrunde egoistisch. Der Geist sucht sich zwar diesem Gesetze zu entziehen, aber nur wenigen Menschen ist es gegönnt, die Selbstverleugnung in diesem Falle so weit zu üben, daß sie die letzte Faser der Eigensucht ausreißen können. Der jugendliche Idealismus überwand damals die sich aufbäumende Selbstsucht. Am Abende war mein Entschluß gereift, kein Wort sollte mehr von meiner Liebe gesprochen werden, daran nicht mehr denken zu wollen, hielt ich für nicht notwendig! — Wie täuscht sich der Mensch selbst! 5. Von Skufe zu Stufe. In den nächsten Monaten nahm mein ganzes Wesen eine neue Ent¬ wicklung, der innere Zwiespalt wurde größer, weil ich an jenem verhäng¬ nisvollen Tage den einzig vernünftigen Entschluß nicht hatte fassen können: die Stadt zu verlassen und fern von jedem weiteren Verkehre in unermüd¬ licher Tätigkeit Vergessen zu suchen. Es gelang mir wirklich, ihre Bitte zu erfüllen. Der junge Maler wurde durch mich eingeführt ihre Mutter ahnte von dem Zusammenhange nichts, ich wußte für ihn zu sprechen, als gälte es mein eigenes Glück. Das gute Mädchen war mir dankbar, das merkte ich aus jedem Blicke, jedem Worte. Ich verstand es wohl, mich zu beherrschen, wenn mein Gehaben auch ernst blieb. Aber die innere Lüge mußte böse Folgen zeitigen. Ich befand mich bald in einer äußerst gereizten Seelenstimmung, die sich äußerlich durch eine gewisse ausgelassene Heiterkeit kund tat. Ich dachte gar nicht nach, warum sie mich da so verwundert anstarrte. Ein Weib hat ja in dieser Beziehung ein viel feineres Empfinden als der Mann. Ihr mochte erst da eine Ahnung aufdämmern, welcher Art mein Seelenzustand eigentlich sei. Sie suchte mit mir allein zu sprechen; aber jetzt wich ich aus — aus Trotz und Schmerz. Einmal überraschte ich das junge Pärchen bei seinen Liebkosungen. Sie war bestürzt, denn sie hätte mir gewiß nicht weh tun wollen und sie fühlte gewiß, daß dieser Anblick für mich entsetzlich sein müsse. Ha, wie es an jenem Abende in meinem Gehirne hämmerte! Wie ein Fieber brach mein Haß gegen das Schicksal aus, ich betete an jenem Tage nicht mehr. Vorher floh ich in den trübsten Augenblicken zu Gott, mein Gebet war zwar nur ein Stammeln, ein bloßes Hilfeflehen, aber ein Gebet war es doch. Nun aber waren alle guten Geister gewichen. Ich stürzte mich in den Strudel des Vergnügens, tat es in tollen Streichen allen zuvor und wurde so ein beliebter Gesellschafter. Ich machte auch Bekanntschaften, an die ich nur mit Ekel zurückdenke. An Stelle der harmlosen tollen Streiche traten bald jene gemeinen Vergnügungen, in deren Strudel alles Edle untergeht. Wohl hatte ich noch öfter Gewissensbisse, aber ich ersticke sie gewaltsam. Ich bekam eine teuflische Lust am Bösen und verlor die sittliche Kraft, den abschüssigen Weg zu verlassen.

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