Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1929

321 Arme nach mir aus, ich glaubte ein höhnisches Kichern aus allen Ecken zu hören: Zu spät, du hast dein Glück versäumt! Und da faßte ich den Entschluß, mir um jeden Preis am nächsten Tage Gewißheit zu verschaffen. 4. Ein düsterer Tag. Könnte ich diesen einen Tag mit seinen Folgen aus meinem Lebens¬ buche löschen! Seither ist ja alles in mir vergiftet, ich habe nie mehr Ruhe undFrieden gefunden. Ich ging mit bangem Herzen zu ihr. Ich merkte bald, daß sie noch mehr als am Vortage einem ernsten Gespräche ausweichen wollte. Aber ich schnitt ihr jede Ausflucht ab. Plötzlich sagte ich ihr in aller Kürze mit unter¬ drückter Leidenschaftlichkeit, was seit Jahren mein ganzes Sehnen ausmachte. Sie wurde bleich, ihre Augen waren starr, furchtsam und wehmütig auf mich gerichtet. Als ich sie fragte: „Hast du mich lieb?“ da merkte ich, daß sie nach Worten rang, aber kein Laut kam über ihre Lippen. Die Zeit schien mir stille zu stehen. Endlich stieß sie mühsam die Worte hervor: „Du weißt, daß Du mein bester Freund bist; als solchen habe ich Dich herzlich gern; aber die Liebe, von der Du sprachst, kann ich nicht teilen. Ich wollte Dir schon einigemale mein Geheimnis anvertrauen; aber so wie Dich bis heute eine eigene Scheu zurückhielt, Dich zu offenbaren, so erging es auch mir. Laß mich offen sein, wie Du es jetzt warst, und bleiben wir Freunde. Ich weiß, daß ich Dir trotz des eben zwischen uns Vorgefallenen ver¬ trauen darf, und ich will, ich muß Dir nun alles beichten; ja, ich getraue mich sogar, Dich um Deine Hilfe zu bitten. Du wirst edel sein, wie Du es warst.“ Mechanisch setzte ich mich neben sie, wie so oft in früheren Tagen. Da erzählte sie mir, wie sie einen jungen talentierten Maler kennen und lieben gelernt habe, daß aber ihre Mutter eine Annäherung des jungen Mannes nicht duldete; sie gestand mir die kurzen heimlichen Zusammenkünfte, sie war voll des Glaubens an den Erwählten ihres Herzens, kurz, ich sah, daß eine wirklich reine, tiefe Leidenschaft in ihrem Herzen sich eingewurzelt hatte. Und dann richtete sie eine Bitte an mich, die bei jedem andern Mädchen mir als Spott erschienen wäre — ihr aber verzieh ich sie mit blutendem Herzen. „Werde sein Freund, hilf Du uns den Widerstand der Mutter besiegen, hilf uns unser Glück gründen! Dabei sah sie mich flehend an, daß alle Gedanken an mich selbst weg¬ gescheucht wurden. „Ja, ich will,“ antwortete ich so fest ich nur konnte, und reichte ihr die Hand. „Aber für heute nehme ich Abschied; leb’ wohl.“ „Freund, lieber Freund!“ rief sie mir mit tränenfeuchten Augen nach. Bis ich die Türe hinter mir geschlossen hatte, so lange behielt ich meine äußere Ruhe. Aber dann meinte ich, ich müsse umsinken, die ganze Welt schien mir öde und leer. Wie ich auf die Straße kam, weiß ich nicht. Mir tat das helle Sonnenlicht weh, der blaue Himmel schien mich ironisch anzulachen, ich fühlte da zum erstenmale jene Bitterkeit, die mein Leben seither vergällte. Planlos schlenderte ich durch die Straßen in dumpfer Betäubung, denken konnte ich nicht. Kam ich an fröhlich plaudernden und lachenden Menschen vorbei, dann zuckte ich zusammen — die Lebensfreude anderer tat mir weh. 21

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