Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1929

319 Glücke glauben wir später doch noch Erfüllung aller verborgenen Wünsche zu finden — und dann stehen wir enttäuscht, verbittert an dem Grabe unseres ganzen Erdenglückes. Sie war schön, schön wie die junge Rosenknospe, die ihren keuschen Kelch erschließt. Ich vergleiche sie nicht der meerentstiegenen Göttin, jetzt blicke ich ja doch mit wehmutsvoller Ruhe auf alles Vergangene zurück. Aber getrost sage ich: sie war damals schön, wunderschon, als sie den verwaisten Jüngling so lieb ansprach. Reich fiel ihr blondes Haar über den anft gewölbten Nacken, ihr Auge schien unergründlich tief zu sein — ach später sah ich es in seinem eigentümlichen Irisspiel nur zu oft und jede Stimmung fand in diesen Augen ihr Widerspiel. Bleicher und matter wird das Sonnenlicht, das sich durch die Gitter¬ stäbe meines Gefängnisses schleicht. Die Erinnerung an jene Sonnenaugen macht mich müde. Aber ich sehe sie doch noch deutlich vor mir; sie waren grau, wenn ihr etwas Fremdes, etwas Unpassendes vorkam; sie waren hellblau, wenn wir über die Wunder und Reize der Schöpfung plauderten, wenn wir das Gewühl der Erdenmenschen vom Standpunkte eines reineren Idealismus betrachteten. Und tiefblau wurden diese Augen, wenn ich ihr von den Wundern der Sternenwelt, von den Wundern der kleinsten uns bekannten Lebewesen erzählte, und schwarz, tiefschwarz und doch so eigen feurig leuchteten diese Augen, wenn wir von Menschenlust und Menschenleid sprachen. O, hätte ich damals den Mut gehabt, dieses herrliche Geschöpf in meine Arme zu schließen! Ich konnte es nicht glauben, daß sie mich lieben könnte, und darum wurde ich so elend. 3. Seelenkämpfe. Wochen sind vergangen, seit ich die letzten Zeilen schrieb. Die Unter¬ suchung nimmt einen langsamen Gang. Mir wäre es lieber, wenn alles bald zu Ende wäre. Am liebsten wäre mir der Tod. Wozu denn noch die Qual des Ringens, wenn es doch nichts nützt? — Ich bin zwar unschuldig, ich glaube es wenigstens. Wenn ich aber freigesprochen würde? — Mein Leben ist und bleibt trotzdem vernichtet. Ich kann dem Richter nichts anderes sagen als: „Ich weiß nichts.“ Und abermals schweifen meine Gedanken zurück in die Vergangenheit. Ich sah jenes Mädchen wieder und wieder. Ihre Eltern gaben dem ver¬ waisten Jünglinge, was sie nur konnten. Sie war die Fürsprecherin. Ich brachte ihr ein Körbchen Enziane; ich wußte ja, daß sie die Blumen liebte. Wirsaßen dann beisammen, sie spielte Klavier und sie war keine Stümperin, wie ich sie später oft hörte. Sie konnte es nicht wissen, daß ich sie liebte, denn sonst hätte sie so manches Lied nicht gespielt und gesungen. Langsam entwickelte sich in mir jene tiefe Leidenschaft, die mein größtes Lebensglück und all mein Unglück wurde. Ich hatte den glühenden Ehrgeiz, es weiter zu bringen, um ihre Achtung, ihre Liebe zu gewinnen. Jeder Erfolg, den ich errang, war für mich nur dann von Bedeutung, wenn sie ein Wort der Anerkennung sprach, und wäre es auch das kleinste, unbe¬ deutendste gewesen. Ich hätte es damals nie gewagt, ihr ein Wörtchen von meiner Liebe zu sagen, sie stand ja zu hoch über mir, ich war noch nichts als ein armer

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