Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1929

314 bittend: „Hören Sie mich doch Beichte.“ Der Propst nickte bejahend. Da rasselte der Schlüsselbund des schließenden Küsters, ein schlürfender Tritt hallte. Der Probst wandte sich: „Bitte, kommen Sie in meine Wohnung, dennhier wird geschlossen.“ „Danke, Hochwürden, denn es hat Eile mit mir, ich folge Ihnen gern Die Sorge des jungen Menschen, seine Seele in den erlösenden Frieden Gottes einzubetten, berührte des Priesters Herz so sehr, daß er wegen des heiligen Dranges den Menschen im Geiste lieb gewann und teilnehmend, prüfend dessen Gesicht betrachtete. Es war streng und schön, leicht gebräunt, nur der Mund war ein wenig zu weich, doch die schmale Nase gab dem Gesicht charaktervolle Schärfe, zu der das helle Feuer der Augen paßte. Jetzt hob der junge Mensch die Hand, eine helle, lange Hand, die Ausdruck eines geistigen Lebens war. Sie zog den Hut, und während ein feines Rot in die Wangen stieg, stellte er sich vor. „Tut nicht not, wenn man beichten will,“ wehrte der Propst ab. Mit einem merkwürdigen Ton in der Stimme, wie ihn Menschen haben, die im Schlaf träumend reden, kam eine abweichende Entgegnung. „Dies wird meine letzte Beichte sein, Hochwürden, ich weiß um meinen baldigen frühen Tod. „Nanu,“ sagte spontan der Propst und blieb auf der Gasse stehen, „so ein frischer, junger Kerl, wette zweites Semester — und dann derart trübe Gedanken? Wir wollen die Seele gesund machen, dann wird die alte Frische neu wiederkehren. Abweisendes Wissen lag auf den Zügen des Schweigenden. Sie gingen durch winkelige Gassen, deren Häuser alt, manchmal vom vorstehenden Oberstock verschönt ineinander hingen. Ihre Giebel standen scharf und zackig gegen den Abendhimmel. Ueber müde Mauern griffen blütenschwere Aeste in die Gassen, vom kühlen Maiwind bewegt, rieselten feine, weiße Blütenblätter auf das Pflaster. Die Domuhr schlug neun, tief und beruhigend klang ihr Ton in den Abend. Die Wandernden standen vor einem hohen, grauen Haus. Eine schöne Tür mit eleganter Rundung führte in einen Flur, der mit weißen Steinplatten ausgelegt war. Altersbraune Türen führten in die Räume. Die Treppe wurde erstiegen. Das Studierzimmer des Propstes weitetesich. Bücher füllten die Wände. Ueber dem Schreibtisch hing der Leonardo che Christuskopf, geheimnisvoll anziehend voll sanfter Zwinggewalt. Betroffen blieb der junge Mensch vor dem Bilde stehen. Unter ihm lehnte ein einfacher Betschemel. Der Propst wies seinen Gast an, sich niederzuknien, holte einen Stuhl, nahm die Stola, hörte Beichte und sah in eine Seele, die alle Krisen mensch¬ licher Schwäche durchlitten hatte und in liebender Reue in die Arme der heiligen Mutter Kirche sank. Als die heilige Handlung vorbei war, ließ der Propst den Erlösten eine Weile allein zur Danksagung, dann kam er zurück: „So, mein junger Freund, nun haben wir Hunger, ich habe meiner Kathrin Anweisung gegeben, sie hat just heute für zwei Menschen Essen, nun müssen Sie schon mein Gast sein!“ Aber der gute Propst hatte einen schweigenden Tischgenossen, der von schmerzlicher Unruhe ergriffen, nervös und zögernd aß. Schließlich sagte er,

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