Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1929

311 „Ihnen die Mädchen zu schildern, dazu ist keine Zeit mehr, übrigens würde es auch nichts nützen; niemand entgeht seinem Schicksale. Nun: Auf in den Kampf, Torero!“ Richard war infolge des trefflichen Weines und Kurts Plauderei nun in eine frohe Stimmung gekommen, von der früheren Zaghaftigkeit war nichts mehr zu merken, als ihn Kurt einer Reihe lieblicher Mädchen vor¬ stellte, mit denen er bald über den spiegelglatten Boden hinwirbelte. Mit einer Art belustigter Neugier betrachtete Richard seine schönen „Feindinnen“ und fand, daß ein solcher „Krieg“ doch eine sehr nette Einführung sei. Er plauderte munter mit seinen Tänzerinnen und staunte, woher ihm plötzlich all die lustigen Einfälle kämen, welche den holden Lippen der Mädchen so manches klingende Lachen entlockten. Aber das merkte er nicht, welche Aufmerksamkeit er im ganzen Saale erregte. Richard bot aber auch das Bild der schönsten Männlichkeit, wenn er mit sicherer Leichtigkeit, vor¬ nehm in jeder Bewegung dahintanzte oder in den Pausen mit den Mädchen plaudernd auf= und abwandelte. Die jungen geschnigelten Gigerl und die wespenartig geschnürten, glatzköpfigen Leutnants warfen ihm allerdings nicht gerade freundliche Blicke nach, Kurt aber, der „Salonlöwe“, sah neidlos die Erfolge Richards mit an und lächelte verschmitzt, wenn er die Fragen der Ballmütter und Ballelfen nach dem in der „Gesellschaft noch unbekannten interessanten Manne“ mit Lobpreisungen Richards beantwortete. Es machte ihn kreuzvergnügt, die lieben Mitmenschen ein bißchen in Aufregung versetzt zu sehen. Schon im vorhinein vergönnte er dieser und jener verlobungs¬ süchtigen jungen Dame oder einer schwiegersohnlüsternen Ruine die gewiß kommende Enttäuschung. Daß Richard in eine Falle geraten und eine Dummheit machen könne, hielt er für ausgeschlossen. Da schätzte er ihn zu hoch ein. Und gar am meisten freute es ihn, daß Richard seinen Rat befolgte und sich nicht mit einem Feinde, sondern mit Dutzenden in den Kampf der Augen und tändelnden Worte einließ. Richard wurde aber nach und nach von einem noch nie gekannten Freudentaumel erfaßt. Ein Freund des Schönen war er stets gewesen, er liebte die Blumen, die herrliche Natur, die Werke der gottbegnadeten Künstler, aber noch nie war es ihm bisher so recht zum Bewußtsein gekommen, daß der Schöpfung Meisterwerk das schöne Weib sei. Wie eine Offenbarung der Schönheit überwältigte ihn nun der Anblick so vieler reizender Wesen und zum erstenmale jubelte es in ihm: „Das Leben ist doch schön. Eben setzten die schmeichelnden Weisen eines Straußschen Walzers wieder ein und Richard wollte Ilse, die Professorstochter, zum drittenmale zum Tanze holen, da fiel ihm Kurts tragikomische Warnung vor der Mutter ein und belustigt dachte er: „Kurt, der Unglücksrabe, soll nicht recht behalten Ich hole 'mal ein Mauerblümchen.“ Suchend glitten seine Augen längs * * der Saalwand hin. Da plötzlich durchzuckte es ihn so seltsam Dort saß ein Mädchen... „War ich denn blind, daß ich die noch nicht sah?“ sprach er zu sich selbst. Er eilte hin, stellte sich vor und bat um einen Tanz. Schweigend tauchten die beiden in dem farbigen, glitzernden Gewoge unter. Richard betrachtete unauffällig, aber eingehend seine Tänzerin. An wen erinnerte sie ihn denn nur so sehr? — Er schloß einen Augenblick nachsinnend die Augen. —Ja, so konnte, so mußte wohl seine Mutter als Mädchen ausgesehen haben. Nur mühsam unterdrückte Richard seine tiefe innere Erregung. Als er Erna zu ihren Eltern zurückführte, wollte keines

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