Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1929

310 Weines vor ihnen und Kurt stieß an: „Mögen uns die Charitinnen und Grazien und wie alle die Huldinnen heißen, gnädig sein, ditto Frau Venus mit ihrem gefährlichen Sohne Amor, der sicher auch den Fasching auf dem Kerbholze hat. Schweigend stieß Richard an — aus dem Munde eines anderen hätte ihn dieser Trinkspruch verletzt, aber bei Kurt klang er so selbstverständlich, so munter und lebensfrisch, daß Richard die aufsteigenden ernsten Gedanken verscheuchte. „Bevor wir den Feind mit Erfolg angreifen können, müssen wir ihn kennen lernen. — Sonst sind wir die Geschlagenen. — Taktik! Taktik! Das ist die Hauptsache, lernte ich schon als Einjährig=Unfreiwilliger. — Also, ich will Sie den Feind kennen lehren. — Nur keine sentimentalen Bedenken! Der Feind tut mit uns zur Stunde das gleiche. — Also, wir haben einen inneren und äußeren Feind. Der innere sind die tanzenden Weiblichkeiten, der äußere sind die ringsum sitzenden, nichttanzenden Ballmütter und Ball¬ väter. Letztere, die Ballväter, sind meist ungefährlich, da sie selbst mit einem inneren Feinde, dem Durste, zu kämpfen haben. Sie werden erst gegen Morgen gefährlich, wenn sie uns freundschaftlich auf die Achsel klopfen oder gar duzen. Gefährlich sind die Ballmütter. Ich wette, dort die Frau Professor A. weiß schon Ihren Stammbaum, Ihr Einkommen, Ihre guten und wenn Sie welche haben, noch besser Ihre schlechten Eigenschaften. Sie ver¬ merkt besser als jeder Registrierapparat, wie oft Sie mit der oder jener tanzen, und wehe Ihnen, wenn Sie mit ihrer Ilse dreimal antreten! Morgen weiß es die halbe Stadt, daß.. usw. Dort die dicke Bankdirektorsgattin M .. . . .. ist noch gefährlicher. Sie geht aufs Solide. — Sie schielt eben wieder auf Sie, dazu hat sie drei wirklich hübsche Mädchen; nicht zu — gescheit, nicht zu dumm, kokett und doch wieder naiv, — rechte Ehekandi¬ datenanlockerinnen. — Aber werter Freund, ehe Sie um ein Mädchen freien, sehen Sie die Mutter an. Auch das Küchlein gleicht nicht der Henne, wird aber doch so, wie diese ist. — Also, ich empfehle Ihnen, reden Sie mit den Ballmüttern, wenn Sie schon müssen, nur vom Wetter, von der Entdeckung des Nord= oder Südpols, den Papuas, den Jungtürken, Kieler Sprotten usw. Nur nichts etwa von der Teuerung, denn da preist Ihnen jede Mutter das wirtschaftliche Genie ihrer Tochter so verlockend, daß Sie anbeißen müssen. Dankbar, aber sehr gefährlich ist es, von den Reizen der Tochter der Mutter vorzuschwärmen. Wenn die Mutter verlegen lächelnd meint, das „Kind“ sei ihr wie aus dem Gesichte geschnitten, so ist es noch gut, außer sie steht im „gefährlichen Alter“. Wehe aber, wenn sie anfängt, an Ihnen die Schönheit eines Adonis oder gar das „Interessante“ Marlittscher Roman¬ helden zu entdecken! Dann rette, wer sich retten kann! — Also, ungefähr kennen Sie den äußeren Feind. Der innere aber — ja, da helfen gute Ratschläge wenig. Nehmen Sie es nur nicht mit einem allein auf. Hier im Ballsaal wird die ganze Kriegskunst eben auf den Kopf gestellt. Eine Gegnerin ist unser Verderben, viele sind unser Sieg. Und je mehr wirklich hübsche Gegnerinnen da sind — heute trifft dies erfreulicherweise zu —, desto mehr besteht die Hoffnung, daß wir mit heiler Haut davonkommen. Ein Tropfen des Liebesgiftes tötet das Junggesellentum, hundert Tropfen erhalten es. — Oder wären Sie schon mit dem Vorsatze hergekommen ...?“ „Nein, nein, lachte Richard, „daran dachte ich nicht.“ — Ganz wahr war dies allerdings nicht.

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