Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1929

309 Seine Verhältnisse waren bis vor wenigen Jahren derart, daß er nie, wie man zu sagen pflegt, sich der „Gesellschaft“ widmen konnte. Es hieß bei ihm nur immer studieren, arbeiten, entbehren und sorgen, bis er endlich eine für den Anfang annehmbare und für die Zukunft aussichtsreiche Stellung fand und der quälenden Geldsorgen ledig wurde. Doch kaum hatte er beginnen können, die Opfer und Liebe seiner guten Mutter zu vergelten, kaum waren sie aus der ärmlichen Wohnung in einem kasernenartigen, öden Miethause hinausgezogen in ein freundliches, villenartiges Häuschen einer Vorstadt, die von Waldesarmen traulich umfangen einem Paradiese glich, da begann das Mütterchen zu kränkeln und hinzuwelken. Manche Frau bleibt nur solange rüstig, als sie für ihre Lieben sorgen und kämpfen muß. Dann geht sie zur Ruhe wie ein Baum, der im Herbste all den Reichtum seiner Früchte in den grünen Schoß der Erde geworfen hat. Nach mehreren Jahren einsamer und wahrer Trauer um sein Mütter¬ chen begann sich in Richards Brust die Sehnsucht nach den Freuden des Lebens, der Gesellschaft zu regen, er begann ein neues Glück zu erhoffen, das ähnlich wäre dem, das er bei Mütterleins Tod verloren. Und so kam er auf den Gedanken, einmal denFaschingsrummel anzusehen, ja, mitzumachen. Und jetzt stand er da und — ärgerte sich. Doch da kam aus dem Gewühle eine Gestalt auf ihn zu, rasch und behend, doch nicht hastig, in geschmeidigen Wendungen schlüpfte sie zwischen den lachenden und plaudernden Paaren durch, selbst vergnügt lachend und Scherzworte hinwerfend. „Ich muß ein auf Strand geratenes Boot ins richtige Fahrwasser lotsen!“ rief der Herankommende einer Gruppe reizender Damen zu und zeigte dabei auf Richard, den er vom Amte her gut kannte. Frohes, silber¬ helles Lachen war die Antwort der Mädchen, ein jähes Rot der Beschämung aber flog über Richards schöne, ebenmäßige Züge. Da stand Kurt schon vor ihm und nahm seinen Arm und zog den halb Widerstrebenden in den Trubel hinein. Kurt war ein „Salonlöwe“ , doch keiner von der gewöhnlichen, Süßholz raspelnden und in Gemeinplätzen sich erschöpfenden Art. Witz und Geist sprühte aus seinen Reden und trotz alles weltmännischen Gehabens war er ein edler, gütiger Mensch. Kurt hatte mit sicherem Blick den Grund der Befangenheit Richards erkannt und war rasch entschlossen, den von ihm geachteten Mann nicht zur Zielscheibe des Spottes gefühl= und gedankenloser Gigerl und spitziger Weiberzungen werden zu lassen. „Wollen Sie mit meiner Gesellschaft vorlieb nehmen, bis Sie eine 74 bessere, eine reizende finden? fragte Kurt. — „O, ich bin Ihnen dankbar,“ erwiderte Richard, „wenn Sie mir über die ersten Schwierigkeiten hinweg¬ helfen. Ich komme mir vor wie ein Junge, der das erstemal die glatte Eis¬ fläche betritt. 7 — „Nur Mut, dann fällt man leichter hin und steht rascher auf, verehrter Freund! — Ich kenne das, — so eine Art Lampenfieber, das — vergeht! Sehen Sie dort nur die beiden reizenden Käfer — Ihre Leidens¬ genossinnen. Sind auch heute das erstemal auf einem Ball. Aber die Mädels sind in derlei Dingen zehnmal schneidiger als — na, das Weitere können Sie sich denken. So waren beide bis zu einer kleinen lauschigen Ecke gekommen, die noch nicht besetzt war. „Stärken wir uns zuerst vor Eröffnung der Feindseligkeiten,“ schlug Kurt vor. „Mir recht, meine Kehle ist ohnehin trocken wie die Wüste Sahara,“ stimmte Richard bei. Bald stand eine Flasche feurigen prickelnden

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